Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
betrifft, blieb es nur bei Blicken, denn nähere Beziehungen hatten die Eltern strikt untersagt. Und Miriam war folgsam. Nur manchmal war ihre Neugierde stärker als die Gebote der Eltern. Dem Klang der Orgel in der neologischen Synagoge konnte sie nicht widerstehen. Immer wieder betrat sie heimlich das Gebäude und lauschte der schönen Musik. Im Gegensatz zu den reformierten Juden lehnen die orthodoxen in ihren Synagogen jede Annäherung an christliche Formen des Gottesdienstes ab – so auch eine Orgel. Miriam nahm sich auch andere Freiheiten, und ihre Eltern ließen ihre Jüngste mal schmunzelnd, mal kopfschüttelnd gewähren. Wenn sie nach Budapest reiste und dort Konzerte und Theateraufführungen besuchte, hatten sie nichts dagegen. Aber es entsprach nicht ganz dem Bild einer wohlerzogenen jungen Frau aus orthodoxem Haus, wenn ihre Tochter mit dem Fahrrad durch Komárno radelte und im Sommer schwimmen ging. Aber Jenö Schwarcz drückte bei Miriam schon immer ein Auge zu. Sie war sein Liebling.
Nur einen großen Wunsch hegte Miriam noch. «Ich war 21 Jahre alt und wollte unbedingt heiraten.» Im Sommer 1943 verlobte sie sich mit dem zwölf Jahre älteren jüdischen Gelehrten Béla Rosenthal aus dem ungarischen Miskolc. Um einen richtigen Ehemann für seine jüngste Tochter zu finden, hatte Jenö Schwarcz schon Anfang des Jahres 1943 einen Schadchen, einen jüdischen Heiratsvermittler, engagiert. Bisher hatte sich nur eine seiner Töchter seinem Willen widersetzt und ihren künftigen Mann ohne Vermittler gefunden. Für alle anderen wurde die Ehe arrangiert. Gefühle kann man nicht erzwingen, aber Miriam nahm sich ihre Schwestern zum Vorbild. Die meisten waren glücklich. So hoffte auch sie, durch Gottes Hilfe mit dem von ihren Eltern ausgewählten Ehemann glücklich zu werden. Gut aussehend, wohlerzogen und charmant sollte er aber schon sein. Als der Heiratsvermittler ihr dann zum ersten Mal ein Foto Bélas zeigte, war sie erleichtert. «Er gefiel mir sofort.» Laura und Jenö Schwarcz machten sich zusammen mit den zwei ältesten Söhnen auf den Weg nach Miskolc, um den künftigen Bräutigam kennenzulernen. Denn es reichte nicht, dass ihre jüngste Tochter von ihm angetan war. Sie wollten sich auch selbst überzeugen, ob er ihrer würdig ist und aus welcher Familie er stammt. Als sie zurückkamen, erlöste Jenö Schwarz seine Tochter sofort aus ihrer Ungewissheit. Der junge Mann hatte auf ihn einen guten Eindruck gemacht. «Seine Eltern sind ähnliche Leute wie wir», sagte er zu Miriam, die sich kaum noch gedulden konnte, Béla endlich kennenzulernen.
Vor dem ersten Treffen, das in der Wohnung ihrer Schwester in Budapest stattfinden sollte, bekam sie dann doch ein bisschen Angst. Was, wenn er doch nicht der Richtige ist? Was, wenn er ihr doch nicht gefällt? Oder sie ihm? Als der großgewachsene schlanke Mann ins Wohnzimmer trat, in dem Miriam und ihre Eltern schon warteten, konnte sie ihre Freude kaum verbergen. Das Foto hatte nicht gelogen. Béla war ein wirklich gut aussehender Mann mit feinen Manieren. Während des Abendessens erzählten sich die beiden aus ihrem Leben und spürten eine Vertrautheit, als würden sie sich schon lange kennen. Sie vergaßen ganz ihre Eltern, die bereits über praktische Angelegenheiten des Ehevertrages redeten. Als Béla dann einige Stunden später die Wohnung verließ, war sich Miriam ganz sicher. Er ist der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen möchte. Am nächsten Morgen brachte ein Bote einen großen Strauß roter Rosen, ihrer Lieblingsblumen, in die Dallszinház-Straße, wo ihre Schwester wohnte. Auf der beigefügten Karte hatte Béla geschrieben: Ich habe mich in Dich verliebt. Willst Du mich heiraten? Die hübsche, fröhliche junge Frau mit den langen dunklen Haaren, hohen Wangenknochen und einem charmanten Lächeln hatte ihn an diesem Abend ganz verzaubert. Miriam und Béla trafen sich noch mehrmals in Budapest. Sechs Monate später feierte das Paar seine Verlobung in Komárno. Im Herbst 1943 verschickten sie die ersten Einladungskarten zur Hochzeit. Dann aber starb Miriams Vater an einem Herzinfarkt.
Die zwei großen weißen Hunde hören nicht mehr auf zu bellen und wecken das ganze Haus. Jemand klopft heftig an die Tür. Seit mehr als einer Woche sind Miriam, Jacob und ihre Mutter schon bei Lilly und ihrem Mann auf dem Familiengutshof. Von den Deutschen haben sie seitdem nichts mehr gehört. Den Gendarmen im Dorf gab Laura Schwarcz Geld, damit sie die Familie in
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