Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Miskolc warten, wo ich niemanden kannte, sondern in Komárno, bei meiner Familie.» Miriam muss nun doch ins Getto. 3500 Menschen sind in einer Fabrikhalle zusammengepfercht, Wind und Regen dringen durch die offenen Seiten ungehindert ein. Als sie das sieht, will sie im ersten Moment davonlaufen. Dann steigt in ihr eine nie gekannte Wut auf. Zornig reißt sie ihren großen Koffer auf und greift wahllos hinein. «Ich habe alles rausgeworfen, meine schönen Kleider, das seidene Nachthemd, sogar mein Hochzeitsgewand. Hier, rief ich den Leuten zu, nehmt es, ich brauche das nicht mehr!» Am 11. Juni 1944 beginnen die Deportationen der Juden aus Miskolc und der Umgebung. Bis 16. Juni fahren täglich Züge mit jeweils 3000 Menschen nach Auschwitz-Birkenau. In einem von ihnen sitzt Miriam mit ihren Schwiegereltern, Bélas Schwester, seiner Schwägerin Marica und ihren zwei Kindern, einem Säugling und einem zweijährigen Mädchen. Miriam fürchtet sich vor der Zukunft. Was wird mit uns geschehen? Sie ahnt noch nicht, dass sie im zweiten Monat schwanger ist.
Auschwitz-Birkenau, Juni 1944
A m 10. Juni 1944 überreicht ein weiblicher Geheimkurier mit dem Decknamen Agenor dem Gesandten der tschechoslowakischen Exilregierung in Bern, Dr. Jaromír Kopecký, einen Brief mit brisantem Inhalt. Im Umschlag liegen eine Kopie des Berichtes von zwei slowakischen Juden, die am 7. April aus Auschwitz-Birkenau in die Slowakei geflohen sind, sowie andere geheime Dokumente. Der Absender ist Kopecký nicht unbekannt: Der Rabbiner Michael Dov Weissmandel von der illegalen «Arbeitsgruppe» beim slowakischen Judenrat und seine Mitarbeiterin Gisi Fleischmann stehen mit ihm schon seit längerer Zeit in Kontakt. Der tschechische Diplomat fängt gleich zu lesen an. Auf sechzig Schreibmaschinenseiten berichten Alfred Wetzler und Rudolf Vrba (ursprünglich Walter Rosenberg), was sie seit ihrer Deportation im Jahre 1942 in dem Vernichtungslager mit eigenen Augen gesehen und was sie von anderen Häftlingen gehört haben. Detailliert listen sie die jüdischen Transporte aus verschiedenen europäischen Ländern auf und beschreiben die Methoden des industriellen Massenmords. Die Depesche aus Bratislava enthält auch einen Brief des Rabbiners Weissmandel, der die Informationen ergänzt und sich dabei auf einen anderen Bericht stützt. Am 27. Mai, einige Wochen nach Wetzler und Vrba, ist zwei weiteren Juden die Flucht aus Birkenau gelungen. Der Pole Czesław Mordowicz und der Slowake Arnošt Rozin bestätigen die Aussagen von Wetzler und Vrba und schildern, was seit deren Flucht im Lager geschehen ist. Im Zentrum ihres Berichtes stehen die Transporte aus Ungarn, die seit Mitte Mai täglich eintreffen: «Seit der Gründung Birkenaus sind noch nie so viele Juden vergast worden», schreiben Mordowicz und Rozin. «Das Sonderkommando musste auf 600 Mann und nach zwei, drei Tagen auf 800 Mann … vergrößert werden. Die Anzahl des Aufräumkommandos wurde von 150 auf 700 Männer erhöht. Drei Krematorien arbeiteten Tag und Nacht … Da die Kapazität nicht ausreichte, wurden … im Birkenwäldchen wieder große Gruben von 30 Meter Länge und 15 Meter Breite ausgehoben, in denen die Leichen Tag und Nacht verbrannt wurden.»
In den folgenden Tagen und Wochen unternimmt Jaromír Kopecký viele Anstrengungen, um über das wohl bestgehütete Geheimnis der Nationalsozialisten die Welt zu informieren. Er schickt mehrere Telegramme und Depeschen an die tschechoslowakische Exilregierung in London, trifft Vertreter des Jüdischen Weltkongresses und des Internationalen Roten Kreuzes und kontaktiert Zeitungsredaktionen in der Schweiz. Am 4. Juli überreicht die tschechoslowakische Exilregierung acht verbündeten Regierungen einen ausführlichen Bericht über die Verhältnisse in Auschwitz-Birkenau. Zwei Tage später verständigt Leland Harrison, der US-Gesandte in Bern, das Außenministerium in Washington. Über einen salvadorianischen Diplomaten in Bern, der die Unterlagen von einem Angestellten der rumänischen Gesandtschaft und der wiederum vom Leiter des Palästina-Büros in Budapest erhalten hat, gerät eine gekürzte Fassung des Berichtes von Wetzler und Vrba in die Hände des Schweiz-Korrespondenten der britischen Presseagentur «Exchange Telegraph», Walter Garrett. Der Reporter scheut keine Mühe, damit die Schweizer Presse Informationen über die Verbrechen der Deutschen in Auschwitz bekommt. Zum ersten Mal während des Krieges lässt die
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