Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
wohlhabender, entwickelter und kosmopolitischer war als Europa. Schon zu Beginn der Tang-Dynastie, Anfang des siebten Jahrhunderts, lebten in der Stadt Kanton bis zu 200000 Ausländer: Malaien, Inder, Afrikaner, Türken, Araber und Perser. Und noch im Jahr 1820 machte Chinas Wirtschaft dem britischen Wirtschaftshistoriker Angus Maddison zufolge fast ein Drittel der gesamten Weltwirtschaft aus (zum Vergleich: Im Jahr 2010 hatte China zwar Deutschland und Japan überholt und war hinter denUSA wieder zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgerückt, jedoch war die Wirtschaft der USA da noch dreimal so groß. Und pro Kopf verdient ein durchschnittlicher Amerikaner heute noch zwölfmal so viel wie ein Chinese). Ihr raffinierter Bau und ihre Ausrüstung hätten es Zheng Hes Flotte problemlos erlaubt, 100 Jahre vor Magellan um die Welt zu segeln und 72 Jahre vor Kolumbus Amerika zu entdecken – der britische Forscher und ehemalige U-Boot-Kommandant Gavin Menzies ist überzeugt, dass sie genau das getan hat, und veröffentlichte ein Buch dieses Inhalts. Und man kann Menzies die These nicht verübeln: Aus europäischer Sicht läse es sich geradezu folgerichtig, wenn Zheng He zu diesen Abenteuern ausgesetzt wäre. Das eigentlich Bemerkenswerte aber ist dies: dass der chinesische Admiral es eben nicht tat, dass Menzies mit ziemlicher Sicherheit unrecht hat. Es findet sich kein Beleg für seine Thesen in den chinesischen historischen Beschreibungen der Reisen Zheng Hes.
Und so ist es die tragische Pointe dieser Geschichte, dass sie nicht zur Bebilderung von Chinas Größe taugt, sondern dass sie im Gegenteil zum Symbol wurde für die vielleicht größte verpasste Chance dieses Reiches im letzten Jahrtausend. Bis heute wird des großen Admirals in China kaum gedacht, sind ihm in Indonesien und an den anderen südostasiatischen Ufern, an die es ihn spülte, mehr Schreine, mehr Statuen und mehr Legenden gewidmet als in seinem Heimatland. Interessanterweise grub erst im Jahr 2004 eine chinesische Regierung das Andenken an Zheng He wieder aus. 600 Jahre nach seiner ersten Reise wurde der Admiral wieder gefeiert – und gleichzeitig für die Propaganda eingespannt. Denn, so lernen wir: »Die Essenz der Reisen Zheng Hes nach Westen liegt nicht in der Stärke der chinesischen Marine, sondern in Chinas Beharren auf friedlicher Diplomatie, als es eine Großmacht war.« Findet ein Minister in Peking. Wohlgesetzte Worte in einer Zeit, da China seine Marine hochrüstet und sein Aufstieg den Konservativen in den USA wieder das Wort vom »bedrohlichenChina« auf die Zunge legt. Das Beispiel Zheng Hes soll die an die Welt gerichtete Botschaft eines »friedlichen Aufstiegs« Chinas unterfüttern, eines Landes, das die eigene Propaganda als quasi genetisch unfähig zur Aggression zeichnet. Damit der Admiral in ihre Schablone passt, hat die Regierung ihn sich zurechtgesägt: Sie feiert ihn nun als segelnden Weihnachtsmann, der den Nachbarn nichts als Geschenke und Frieden spendete. (Der Abschuss eines alten Wettersatelliten durch eine Rakete Chinas Anfang 2007 passte so gar nicht in die Schalmeienklänge seiner Diplomatie. Es folgte wochenlanges verlegenes Schweigen, während die Welt auf eine Erklärung dafür wartete, warum China als erstes Land der Erde mit scharfer Munition den Krieg im Weltraum geprobt hatte.)
Die heutigen Elogen stehen in starkem Kontrast dazu, wie das Land einst mit Zheng Hes Erbe verfuhr. Unmittelbar nach dem Tod des Admirals und seines Kaisers nämlich geschah in China etwas für uns heute Unbegreifliches: Die Flotte verschwand ganz einfach, das Reich amputierte sich am eigenen Leib. Vier Jahrhunderte chinesischer Seefahrtstradition endeten abrupt. Im Jahr 1500 belegte der Hof jeden mit der Todesstrafe, der ein Schiff mit mehr als zwei Masten baute, ein Vierteljahrhundert später ließ die Regierung alle hochseetauglichen Schiffe zerstören. China wandte sich ab vom weiten Meer. Es entschied sich für die Abschottung und Isolation des Reiches. Und damit, ohne es zu ahnen, für seinen anfangs unmerklichen, aber letztlich unaufhaltsamen Niedergang, für Demütigung und Ausbeutung durch jene, die an seiner statt bald Besitz nahmen von den Ozeanen: den Europäern.
Warum wählte China diesen Weg? Weil es sich selbst genug war. Weil Intrigen und Machtkämpfe nach Yongles Tod wieder die konfuzianische Orthodoxie nach oben spülte: die Gelehrtenbeamten, die ihr Ideal in der Nachahmung einer versunkenen Vergangenheit
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