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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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suchten und die glaubten, die Barbaren an den Rändern der Welt hätten der großartigstenZivilisation unter dem Himmel ohnehin nichts zu bieten. Weil Chinas Kaiser der Polarstern war, der Fixpunkt am Himmelszelt, um den sich die anderen Sterne des Universums zu ordnen hatten. Weil die stets nach neuen Waren und neuer Kundschaft Ausschau haltenden Händler und Krämer die Geringsten waren in dieser Welt und in der Wertschätzung weit hinter den braven Bauern kamen. Weil nur der Xiaoren , der » kleine Mann«, der Unkultivierte, Vulgäre, sittlich Ungefasste nach Profit strebte. Wahrscheinlich also deshalb: weil China nicht gierig genug war.
    Vielleicht ist es auch so: Wenn einer in der Mitte der Welt steht, auf der Achse, um die sich alles dreht, dann braucht er sich nicht groß zu kümmern um Norden, Süden, Osten und Westen. Wichtig sind dann nicht diese Himmelsrichtungen und nicht links und rechts, wichtig ist dann die Orientierung in einer ganz anderen Dimension: die in der Vertikalen. Nach oben und nach unten also. Das Zurechtfinden zwischen Himmel und Erde, zwischen den Menschen über mir und denen unter mir: Das zählt.

 

Mahjongg
     
     
    Populärste chinesische Spielerei, auch: Droge. Im Westen zuerst bekannt geworden als Mahjongg , in Anlehnung an die südchinesische Aussprache. Es sitzen einander vier Spieler mit einem Set von 144 einseitig gravierten Spielsteinen gegenüber. In seinen Regeln ähnelt Majiang dem Kartenspiel Rommé, also hätte auch ihm eine Karriere als Zeitvertreib gelangweilter Pensionäre beschieden sein können – wären da nicht:
     
 
a)  
der Glücksspielfaktor. Chinesen gelten seit jeher als anfällig für Glücksspiel jeder Art – und Majiang machten sie zur Königsdisziplin in diesem Risikosport. Und
     
b)  
der Knallfaktor. In Peking belauschter Dialog: »Warum spielen die Chinesen so gern Majiang?« Antwort: »Weil es Krach macht.«
    Dabei war auch Majiang einmal ein Kartenspiel. Bis einer auf die Idee kam, aus Bambus und Knochen kleine Steine zu schnitzen, mit denen man prächtig auf den Tisch hauen konnte. Seither macht Majiang den Chinesen richtig Spaß,feinen Damen nicht weniger als finsteren Gesellen. Egal, ob beim Mischen der Klötzchen (in Taiwan der ausholenden Armbewegung wegen auch »Schwimmen« genannt) oder beim Aufstellen vor sich (»Große Mauer bauen«): Je mehr es knallt und kracht, umso wohler ist den Spielern. Weniger den Nachbarn und am allerwenigsten den Angestellten der Majiang-Salons: Hongkongs Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, wonach für Gehörverlust Entschädigung zusteht; das Gesetz richtet sich an DJs, Schlachthofarbeiter – und Bedienstete in Majiang-Salons. Chinas Regierung versucht seit Jahren angestrengt, Majiang als sauberen Konzentrationssport neu zu erfinden. In Hongkonger Zeitungen aber kann man noch immer solche Meldungen lesen: »Or Oi-chu wurde zuletzt lebend gesehen beim Majiang-Spiel in North Point vor acht Tagen.« Können Sie sich in diesem Satz das Wort »Rommé« vorstellen?

 

Hitze und Lärm.
Oder: Enger geht’s nicht
     
     
    China ist groß, doch wenn man Wüste und Gebirge abzieht, dann bleibt nur wenig Platz für die vielen Menschen, sodass sie sich arg drängeln. Sie leben in winzigen Wohnungen, kämpfen um wenige Studienplätze und fahren morgens um sieben in zum Bersten gefüllten Bussen zur Arbeit. Da stellt man sich vor, dass so ein blau gestoßener und platt gebügelter Pendler von Ruhe träumte und von Einsamkeit, von murmelnden Wassern und von karstigen Gipfeln. Tut er aber nicht.
    Es gibt sie schon, den daoistischen Einsiedler in der Gebirgsschlucht und die meditierende Musikerin in Peking, die behauptet, Chinesen suchten anders als die Europäer zuallererst »die Ruhe des Herzens«. Es gibt das fast dreitausend Jahre alte »Buch der Lieder«, das an einer Stelle eine traumentrückte und friedliche Welt heraufbeschwört, über die es heißt: »Es gab Geräusche, aber es gab kein Geschwätz.« Es gibt den bekannten Vers des Poeten Tang Zixi: »Der Berg war so still wie die Welt in ferner Vergangenheit.« Es gibt bloß den Berg nicht mehr. Ich bin einmal im Nieselregen den Tai Shan hochgestiegen, einen berühmten daoistischen Berg inder Provinz Shandong, und ich weiß nicht, was mich mehr irritierte: die der Familie der Feuerwehrsirenen zugehörigen Megafone der Reiseleiter, deren Tröten mich die ganzen vier Stunden begleitete? Das Kreischen der Steinsägen alle zweihundert Meter, wo Handwerker neue

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