Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Manche junge Frauen glauben, der Essig-Rotwein-Cocktail helfe beim Abnehmen. Vielen allerdings ist Wein von Natur aus schon zu sauer oder zu bitter, sie behelfen sich mit folgendem einfachen Rezept: Man nehme eine große Karaffe, kippe die Flasche Château Lafite Rothschild hinein, fülle sodann auf mit der gleichen Menge Sprite und runde den erfrischenden Trunk ab mit einer Handvoll Eiswürfeln und Zitronenschnitzen. Getrunken wird, wie gehabt, auf ex.
Die Zähmung mit Sprite hat noch einen Vorteil. Viele Chinesen vertragen keinen Alkohol. Wie beim Verzehr von Milchprodukten, so fehlt einem großen Teil des Volkes auch hier ein Enzym, namentlich die Aldehyd-Dehydrogenase, die beim Alkoholabbau hilft. So kann es passieren, dass Ihr Gegenüber schon nach wenigen Schluck knallrot anläuft oder über Kopfweh und Jucken am ganzen Körper klagt. Es ist jedoch kennzeichnend für die Tapferkeit dieses Volkes, dass die angeborene Unverträglichkeit nicht zum generellen Verzicht auf Alkohol geführt hat. Tagtäglich setzen sich Unzählige furchtlos den drohenden Nebenwirkungen aus, einer hat mir diesen Spruch aufgeschrieben: »Kalten Schnaps trinken, das schadet meinem Magen. Warmen Schnaps trinken, das greift meine Leber an. Aber keinen Schnaps trinken – das bräche mir das Herz.« Und könnte der ein Edler sein, der sein Herz verriete?
Milch
Macht groß und stark. Zuerst den Chinesen, dann sein Volk. So hatte die Regierung sich das gedacht, als sie in den 1980ern eine »Essensrevolution« ausrief: »Ziel war es, die körperliche Qualität unseres Volkes zu erhöhen, um so den Traum des Auferstehens Chinas zu verwirklichen«, schreibt die Zeitschrift »Nachrichtenwoche«. Hat eine Weile gedauert. Weil die Mehrheit sich zunächst Milchspeisen weiterhin so verweigerte, wie sie es seit Jahrtausenden getan hat. Mehr als Größe bescherte Milch dem Volk nämlich bislang Durchfall, Blähungen und Darmkrämpfe: Viele Chinesen können, wenn sie dem Säuglingsalter entwachsen sind, den Milchzucker nicht mehr verdauen, ihnen fehlt das Laktase-Enzym. Vor Käse ekelt es viele nicht weniger als unsereiner vor dem berüchtigten »Stinkenden Doufu«. Die wenigen Milchprodukte, die es auf den Speisezettel schafften (der Pekinger Joghurt in den kleinen Tontöpfchen etwa), sind allesamt Mitbringsel der Nomaden aus dem Norden, die während der Qing-Dynastie das letzte Kaiserhaus stellten. Nomaden aber schienen den Chinesen nicht umsonst Barbaren. Lange machte dem chinesischen Volk der Milchverzicht nichts aus, denn damit es ihman nichts mangelte, hatte es sich stets an das Wunderböhnchen Soja gehalten: eine Proteinbombe, die sich in besagten → Doufu verwandeln lässt. Dann aber öffneten die Kommunisten ihr Land zur Welt, staunten über die großen deutschen Fußballer und die muskulösen amerikanischen Olympiasieger und sahen mit einem Mal den Weg zu Glorie und Gold klar vor sich. Umgehend begannen sie mit der Massenzucht von Milchkühen, führten Schulmilch ein und propagierten den Milchpatriotismus. Premier Wen Jiabao sagte einmal in einer Rede, er habe einen Traum. Anders als bei Martin Luther King spielten darin Freiheit und Gleichheit keine Rolle, dafür aber die Milch: Er träume davon, eröffnete der Premier seinen Bürgern, dass jedes Chinesenkind dereinst einen halben Liter Milch am Tag zu trinken bekommen solle. Und das Volk folgt. Das Vorbild des Westens lockt ebenso wie das Versprechen geheimnisvoller Kräfte. Vor allem die Städter stellen ihren Speiseplan um. Heute produziert das Land schon zehnmal so viel Milch wie noch vor einem Jahrzehnt. Reicht aber nicht, also wird dazu importiert. Aus Neuseeland, aus den USA, aus Europa. Schon schlagen sie dort Alarm: Jetzt trinken uns die Chinesen auch noch die Milch weg! (→ Gelbe Gefahr ) Dabei kommt die Panik etwas verfrüht. 25 Liter Milch im Jahr konsumiert ein Pekinger im Moment – der Deutsche vertilgt noch mehr als fünfmal so viel. Und auf dem Land, wo noch immer die Mehrzahl der Chinesen lebt, trinken sie gerade mal drei Liter pro Jahr. Das Verhältnis der Chinesen zur Milch, seufzte das Magazin »Leben«, sei eben noch immer gefangen »im Widerspruch zwischen Verwestlichung und Verdauung«.
Trinken, Essen, Mann und Frau.
Oder: Die Kraft aus der
gemeinsamen Schüssel
Gibt es eine Macht, die Chinas Essgewohnheiten verändern könnte? Eine tödliche Epidemie? Die Frage nach dem Virus und den Stäbchen kam auf in jenen Tagen, da die Stadt auf
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