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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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solchermaßen Angesprochenen ist der Toast als Ehre und auf jeden Fall mehr als Ultimatum denn als Angebot zu verstehen: Widerrede gilt als unerhört und wird mit entsetzten Ausrufen à la: »Bin ich diretwa nicht gut genug?«, oder »Willst du mir kein Gesicht geben?« quittiert. Flucht ist ohne die Aufkündigung der Freundschaft oder der eben geschlossenen Verträge praktisch nicht möglich. Ein beliebter Weg zum spielerisch erschlichenen Rausch sind auch Fingerspiele, die unserem Knobeln Schere, Stein, Papier ähneln: Die beiden Kontrahenten lassen auf Kommando gleichzeitig eine Hand vorschnellen und strecken dabei eine beliebige Anzahl von Fingern vor. Dazu brüllen sie eine Zahl, welche möglichst die Summe der ausgestreckten Finger beider Hände erraten soll. Der Verlierer trinkt das nächste Glas – ein Spiel, bei dem sich der Verlust der Zurechnungsfähigkeit und der anschwellende Konsum von Schnaps gegenseitig aufs Fruchtbarste befördern. Einige wenige gelehrte Säufer bedienen sich während des Zählspiels historischer Zitate aus dem Roman »Geschichte der drei Reiche«: »Die drei Einladungen des Zhuge Liang«, rufen sie mit hochrotem Gesicht oder: »Die sieben Festnahmen des Meng Huo.« Und gleiten so nobel ins Koma, noch im Abgang stolze Vertreter einer Kulturnation.
    Auch Biertrinker fordern sich gerne mit gan bei! heraus, so wurde ich Zeuge, wie eine bekannte Modedesignerin, ohne mit der Wimper zu zucken, mit einem (in Ziffern: 1) Zug einer frisch gezapften Halben den Garaus machte. Die Frau stammt aus dem an Sibirien grenzenden Nordosten Chinas, einer Region, deren Trinker von solch legendärer Standhaftigkeit sind, dass sich die Russen zu keinem Zeitpunkt ihrer erbitterten Feindschaft mit China auch nur einen Schritt über die Grenze trauten. Die Russen! Als Durstlöscher zum Essen hat sich Bier übrigens mittlerweile neben dem Tee etabliert, mehr als hundert Jahre nachdem die deutschen Besatzer im Küstenstädtchen Qingdao landeten.
    »Führt eure Waffen so, dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen«, hatte Kaiser Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven dem deutschen Expeditionskorps zugerufen. Und so lehrtendie Deutschen die Chinesen erst das Grauen und dann das Brauen: in der »Germania«-Brauerei in Qingdao, die im August 1903 die Arbeit aufnahm. Sie produziert als »Tsingtao«-Brauerei eines der bekanntesten und besten Biere Chinas und erwirbt sich noch heute Verdienste im Konterkarieren jenes unseligen Kaiserbefehls: Nach ausgiebigem Genuss der Tsingtaoer Qualitätsprodukte haben chinesische Freunde und ich uns schon des Öfteren so scheel angesehen, dass es nicht mehr feierlich war, ohne dass wir uns darüber die Köpfe eingeschlagen oder gar abgeschnitten hätten. Es hat der Popularität von Bier auch keinen Abbruch getan, dass jährlich mehrere Menschen verletzt werden durch explodierende Bierflaschen. Das Malheur steht, kein Scherz, alljährlich ganz oben auf der Liste der Beschwerden bei Chinas Konsumentenvereinigung und ist offenbar darauf zurückzuführen, dass Billighersteller sich bei alten Sojasoßen- und Essigflaschen bedienen, die dann dem Druck des gärenden Bieres nicht standhalten.
    Aber selbst in Qingdao wächst dem Bier neue Konkurrenz heran: Klima und Böden haben in den letzten Jahren auch dort dem Weinanbau Auftrieb verliehen. Und so haben die Reben von yi si ling (Riesling) und sha dang ni (Chardonnay) mittlerweile auch in China Wurzeln geschlagen. Wein aus Trauben ist hier schon seit zwei Jahrtausenden kein Unbekannter; um ihn aus seinem Mauerrebchendasein zu erlösen, brauchte es allerdings das Vorbild westlichen Schicks und ein Edikt des damaligen Premiers Li Peng, der im Jahr 1996 befahl, bei Staatsbanketten auch Wein zu servieren. Seither erlebt Wein in China eine steile Karriere unter jenen jungen, aufstrebenden Städtern, die auch die »Starbucks«-Cafés frequentieren und von einem BMW (chin.: Bao ma , »kostbares Pferd«) träumen. Bevorzugt trinken sie Rotwein. Von Li Peng wurde kolportiert, er mische sich stets ein wenig Essig in seinen Chardonnay. Essig gilt in China generell als Wundermittel: Er soll gut sein gegen Schlappheit wie gegen hohenBlutdruck, hilft angeblich der Leber beim Entgiften des Körpers und entkalkt die Blutgefäße. Als im Frühjahr 2003 die tödliche und zuvor unbekannte Lungenseuche SARS ausbrach, schoss in manchen Gegenden Südchinas der Preis für eine Flasche Essig bis auf 400 Yuan.

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