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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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traumhafte Art gespenstisch und friedlich zugleich erschien. Uns Neugierigen war, als wäre ein Film plötzlich stehen geblieben und hätte alles eingefroren, und nur wir könnten uns frei in der Szenerie bewegen. Die Menschen aber hatten sich mit Bergen von Reis und Instantnudeln in ihren Wohnungen verbarrikadiert, als ginge es in den Krieg. Wer hinausgehen musste, mied die anderen; wer einem Freund begegnete, schüttelte ihm nicht die Hand, sondern grüßte auf die Art der Mandarine: die Rechte vor der Brust zur Faust geballt, sie mit der Linken schirmend. Unter dem arglosen Gezwitscher der vom Winter erwachenden Spatzen breitete sich ein weicher Teppich gedämpften Nuschelns aus: Wenn sie miteinander redeten, behielten die Menschen ihren Mundschutz auf. Es waren die Tage der Furcht; es war der Abend, an dem Hong Ge in seiner Wohnung die Party gab.
    Wir scherzten damals, es müsse wohl die einzige Party sein in dieser Stadt von 14 Millionen Menschen, und weit weg vonder Wahrheit war das nicht. Es sollte ein Essen sein zu Ehren der Freundin, die am nächsten Tag zu ihrem Ehemann nach London flog, und es war einer jener Abende, für die China lebt: Um sechs Uhr ließ man sich am Esstisch nieder, um Viertel nach sechs gratulierten sich die Gäste unter gegenseitigem Zuprosten zu ihrer Unerschrockenheit, und um halb acht waren alle betrunken. Bald warf der Geschäftsmann aus Sichuan, sein Bierglas erhebend, der Abreisenden »Fahnenflucht« vor: »Gerade du als Schriftstellerin solltest jetzt in deinem Heimatland bleiben!« Was die Schanghaier Schauspielerin nicht auf ihrer Freundin sitzen lassen wollte: Sie erhob sich, ebenfalls ihr volles Glas präsentierend, und stimmte eine Eloge auf die Macht der Liebe an, der sich, verdammt noch mal, auch dieses blöde SARS unterzuordnen habe. Gan bei! , ex! Und während der ganzen Zeit blubberte in der Mitte des Tisches der »Feuertopf« vor sich hin, so nennen die Chinesen ihr Fondue: Es war ein zungenbeißender Sud, gewürzt mit Chilischoten und Blütenpfeffer aus Sichuan, welchen die Gäste unablässig mit Rindfleisch fütterten, mit Kohl, Bambus und Goldnadelpilzen.
    Es schmeckte herrlich. An den Rand des Topfes gelehnt war ein Löffel, mit dem man die Happen hätte schöpfen können, aber die Mühe machten sich die Gäste nur ein-, zweimal. Recht schnell verließen sie sich wieder auf ihre Stäbchen, bald entspann sich ein munteres Fechten über Gemüseteller und Feuertopf hinweg, und als der Ausländer am Tisch schüchtern fragte, ob es denn kein Risiko bedeute, wenn alle im selben Topf herumfischten, da hielt das Geschnäbel der Stäbchen nur kurz inne. Wie bitte?
    Ungläubige Gesichter. Lachen.
    Dann die lautstarke Erwiderung: nie im Leben! »Tausende von Jahren haben wir so gegessen«, ruft der Geschäftsmann aus der Ecke. Immerhin habe man es damit zum größten Volk der Erde gebracht. Keine Angst, assistiert der kurz geschorene Musiker: »Das ist ein Sichuan-Feuertopf, der killt jedesVirus.« Ein Dritter: »Im letzten Krieg grassierte in China die Pest, die haben wir auch überlebt.« Er erhebt das Glas zum Duell: ex! Und schon wird weiter gepickt, getunkt, gefochten und hin und wieder abgeleckt: weil es um jeden Tropfen schade wäre.
    Es ist nicht so, dass sich nur Ausländer diese Frage gestellt hätten. Zhou Jin etwa, der Meister der kaiserlichen Küche, den wir im Restaurant »Himmel und Erde sind eins« aufsuchten, hatte ihr einen Aufsatz gewidmet. »SARS hat uns überfallen«, schrieb Zhou nachdenklich, »aber wenn uns eine Katastrophe getroffen hat, vermochte China stets, daraus Lehren zu ziehen.« Die Handelskammer schätzte, dass die Hälfte der 30000 Pekinger Restaurants in den Wochen zumachte, in denen das Virus die Stadt in Schach hielt. In der anderen Hälfte herrschte meist gähnende Leere, da half es auch nicht, dass sich die Kellnerinnen mit Mundschutz wappneten und den Gästen mit Infrarotpistolen Fieber maßen. »Sperrt die Münder zu!«, war in einer Zeitschrift zu lesen. Das war als Mahnung gegen das Spucken gedacht, galt aber plötzlich auch für die Nahrungsaufnahme an öffentlichen Orten.
    Die Vorsitzende des Gaststättengewerbes in China, Han Ming, hatte zwei Lehren parat: Chinesisches Essen sei ja bekannt für seine Farbe, seinen Duft und seinen Geschmack. Nun solle man vielleicht eine weitere Besonderheit hinzufügen, meinte Han: »Sauberkeit.« Da wird wohl keiner etwas dagegen haben. Vorsichtig fügte sie hinzu: »Auch sollten wir

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