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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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gar nicht den von Antragstellern und Geschäftsleuten gesponserten Gang in Karaoke-Salon und Sauna sowie das diese Klassiker einbettende Besäufnis. Wenn man davon ausgeht, dass in ein gut bemessenes Schnapsglas etwa 50 Milliliter passen, dann hieße das, in China würden pro Jahr 80 Milliarden Gläser Schnaps getrunken. Selbst wenn wir die vor allem in der chinesischen Provinz beim Schnapskonsum bevorzugten mittelgroßen Wassergläser (250 ml) zugrunde legten, kämen wir noch auf 16 Milliarden Gläser Schnaps pro Jahr. Wenn man jetzt die Grundregeln des chinesischen Trinkensin Betracht zieht – trinke niemals für dich selbst und bleibe auf keinen Fall stumm beim Erheben des Glases –, kann man, konservativ geschätzt, davon ausgehen, dass mindestens 16 Milliarden Mal im Jahr irgendwo in China der Ruf gan bei! erschallt und dass ebenso oft »Schauder der Furcht durch Rückgrat und Leber schwächerer Naturen« (so die Hongkonger Zeitung »South China Morning Post«) jagen. Bier- und Weinkonsum noch gar nicht eingerechnet.
    Das Wort gan bei! ist ohne Ausrufezeichen nicht vorstellbar. Es ist ein Trinkspruch, der eigentlich die Konstitution eines US-Marines, mindestens aber eines CSU-Ortsvereinsvorsitzenden voraussetzt. Wörtlich heißt gan bei »das Glas trocknen« und ist genau so gemeint: Kein Tröpfchen darf übrig bleiben. Der humanere Brauch des peng (»anstoßen«, schluckweise) hat nur in Damenrunden und Ausländerreservaten überlebt; Letzteres leistet der in China in jüngster Zeit populären Annahme Auftrieb, dass man den Westen bald in die Tasche stecken werde, ein Trugschluss, dem schon die Sowjetunion erlag.
    Waffe der Wahl bei Gan-bei -Duellen ist bai jiu (»weißer Alkohol«), der meist aus Hirse oder Reis gebrannte Schnaps. Berühmt und als Mitbringsel beliebt sind die Marken »Maotai« und »Wuliangye«. Sie sind jedoch dem einfachen Bürger normalerweise zu teuer, zudem ist der Markt überschwemmt mit Fälschungen. Nicht ohne Anerkennung erzählt man sich in Peking von Produzenten, die auf ihr Etikett die Telefonnummer einer »Antifälscher-Hotline« aufdrucken – an deren anderem Ende dann natürlich die Fälscher höchstpersönlich sitzen, um dem zweifelnden Anrufer die Authentizität des gekauften Tröpfchens zu bestätigen. In Peking verlässt man sich deshalb meist auf den schreckenerregenden Erguotou (56 Prozent, der halbe Liter für 0,6 Euro und 6,0 Tage Amnesie). Erguotou ist so billig, dass Fälschung nicht lohnt, und leistet den Bürgern der Stadt gute Dienste bei der Marterung wehrloser Geiseln (dt.: Geschäftspartner) sowie dem Vernehmennach als Motorradsprit und Kakerlakengift. Populär bei Taxifahrern, Polizisten und Poeten ist der Erguotou -Flachmann, ein kleines grünes Glasfläschchen zu drei Yuan zwanzig, den die Chinesen die »Ein-Schluck-Pulle« nennen: liegt gut in der Hand und lässt sich im Notfall auch ohne das Zutun von Fremdchemikalien als Molotowcocktail verwenden.
    Erguotou ist ein würdiger Nachfahre jenes Feuerwassers, mit dem britische Matrosen vor 170 Jahren in Kanton Bekanntschaft machten und dessen Bestandteile der schockierte Reverend Edwin Stevens identifizierte als Alkohol, Tabaksaft, Zucker und Arsen. Stevens war Ortsgeistlicher bei der »Amerikanischen Matrosen-Freundschafts-Gesellschaft« und stand auf den Schiffen im Ruf eines puritanischen Spielverderbers. Das Zeug verursache »einen Zustand von Trunkenheit grimmiger als jeder andere Schnaps«, wetterte Stevens, es »zerstöre Vernunft und Sinne« und sei Ursache für »die enormsten Tumulte« – Qualitäten, auf die Chinas Schnapsbrauer auch bei ihren heutigen Erzeugnissen noch stolz sein dürfen.
    Hinter solchen Zwischenfällen steckt oft der Brauch des quan jiu , was wörtlich bedeutet: »zum Trinken überreden«. Der wohlerzogene Gastgeber geht nämlich von der allgemein augenzwinkernd akzeptierten Prämisse aus, dass grundsätzlich niemand trinken möchte und ein jeder dazu gezwungen werden müsse. Deshalb das nicht enden wollende Ausrufen von Toasts. Dazu genügt es im Regelfall, aufzustehen, dem auserwählten Opfer das eigene Glas entgegenzustrecken und »Los! Los! Los!« zu rufen oder »Trocknen wir eines!«, das mühevolle Kramen nach Vorwänden (»Auf die Queen!«, »Auf Herrn Müller!«) entfällt in China: Das Saufen versteht sich quasi von selbst. Es ist sogar so, dass in einer solchen Runde keiner je für sich selbst nippt, sondern dass man für jeden Schluck einen Partner sucht. Für den

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