Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Schildkröte«, »Harry Potter und der Leopardendrache«), deren chinesische Herkunft nicht nur der »süß-saure Regen« verrät, welcher den armen Harry in einem der Bücher erwischt. Der junge Bestsellerautor und Rennfahrer Han Han, den beißende Abrechnungen mit Chinas Schulsystem berühmt gemacht haben, erzählte mir, dass er schon mehr als zwanzig verschiedene Romane gesammelt habe, die unter seinem Namen erschienen seien. »Wenn einer meine Bücher illegal nachdruckt und verkauft, ist mir das eigentlich egal«, sagt er. »Aber einen grottenschlechten Roman verfassen und dann meinen Namen draufschreiben – das ist Rufschädigung.«
Die Sache ist nicht nur zum Lachen. Die chinesische Billigtrüffel (Tuber indicum) mag auf dem der Tuber melanosporumentgegenfiebernden französischen Gaumen nichts Schlimmeres als einen Schock der Enttäuschung auslösen, andere Fälschungen jedoch sind eine Gefahr für Leib und Leben: Es explodieren an Chinas Ohren falsche Nokia-Handybatterien und zwischen Chinas Lippen gefälschte Zigaretten – und falsche Medikamente bringen Regierungsstatistiken zufolge jährlich 200000 Chinesen um.
Und die immateriellen Folgen? Den Schaden hat nicht nur die Kasse großer Konzerne, den Schaden hat auch die Gesellschaft. Millionen von Chinas Kindern sitzen über billigen, weil gefälschten Schulbüchern, in denen es laut »China Daily« vor fehlerhaft geschriebenen Schriftzeichen nur so wimmelt. Falsch gelernt, Uni nicht geschafft? Nicht weiter tragisch: Ein gut gefälschtes Universitätsabschlusszeugnis kostet in Peking im Moment 200 Yuan (20 Euro). Kaum eine Woche vergeht, in der Chinas Mobiltelefonbesitzer nicht eine SMS erhielten, die »Zeugnisse, Quittungen und Stempel aller Art« anpreist, Lieferung frei Haus. Mehr als eine halbe Million falsche Magister und Doktoren laufen im Land umher, zwei Drittel aller Staatsbetriebe manipulieren ihre Bilanzen, Zehntausende amtlicher Statistiken werden im Jahr gefälscht. Die hier genannten Zahlen kann man nun glauben oder auch nicht – sie stammen allesamt von der Regierung, die am Ruf ihres Landes nicht unschuldig ist: In diesem faulen Apfel nistet der Wurm im Kerngehäuse.
Mehr als einmal schon verkündeten die Staatsmedien eine »nationale Kampagne, die Partei- und Regierungskader mit gefälschten Diplomen zur Strecke bringen soll«, welche zur Plage geworden seien. »Skandalösen Betrug«, ortete die »Volkszeitung« und schrieb: »Wenn ein Kader bei seinen Zeugnissen zu Schwindel und Trickserei Zuflucht sucht, könnte derselbe Kader nicht auch die Implementierung der Parteirichtlinien und -politik mit Schwindel und Trickserei betreiben?« Kein falscher Gedanke, aber nicht zu Ende gedacht. »Ist der Firstbalken krumm, liegen auch die unterenBalken schief«, lautet ein chinesisches Sprichwort. Übersetzt für unseren Fall: Wenn die größten Schwindler in der Zentrale in Peking sitzen, mag man da all jenen einen Vorwurf machen, die sich an ihren Oberen ein Beispiel nehmen: den einfachen Chinesen, den kleinen Kadern?
Des Regimes aufwendigstes Maskenspiel: Es simuliert den Sozialismus, wo in Wirklichkeit die nackte Macht herrscht. Und während viele Ausländer mittlerweile entdeckt haben, dass der dem eigenen Volke gegenüber stur behauptete Kommunismus in China Attrappe ist, so stimmt leider ihr – von cleveren chinesischen Investitionssammlern geförderter – Umkehrschluss genauso wenig: dass das Land sich nun dem Kapitalismus westlicher Prägung verschrieben habe. Zwar sind die Chinesen Kaufleute mit Leib und Seele und stürzen sich mit Enthusiasmus ins Geschäftemachen. Doch ist die ihnen als Spielfeld bereitete »Marktwirtschaft« keine echte: Im China von heute sind nicht Ideen, Fleiß und Leistung die Münze – es ist die politische Macht, die getauscht wird gegen wirtschaftlichen Vorteil. »Kaderkapitalismus« haben Chinabeobachter das Phänomen getauft: Es regieren Beziehungen und Bestechungsgelder, nicht der freie Markt. Da, wo freilich die politische Patronage ihre Zustimmung gegeben hat, treiben geradezu urkapitalistische Zustände Blüte, sodass man sich an Lenin erinnert fühlt, der einmal gesagt hat, je weiter der Kapitalismus nach Osten vordringe, desto schamloser werde er.
Manches ist Pragmatismus: Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (»wir sind immer noch die Alten«) schleppt die KP verkrustete Brocken der alten Gesellschaft in die neue Zeit: jene Fossilien, die noch Mao und Marx im Herzen tragen. Anderes ist
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