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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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China anmahnen wollte.
    Es gibt mittlerweile kaum ein Produkt, für das findige chinesische Produzenten nicht ein Duplikat liefern würden, die Palette reicht vom Golfschläger für den Touristen über das Dinosaurierskelett fürs europäische Naturkundemuseum bis hin zum originalgetreu kopierten Weißen Haus, das sich ein reich gewordener Bauer in Hangzhou hat hinstellen lassen. Besonders geschäftstüchtige Kopisten haben das Spiel schon eine Stufe weitergetrieben: Sie kopieren nicht mehr bloß ein Produkt, sie kopieren gleich den ganzen Laden. In der Stadt Kunming wurden kürzlich drei falsche Apple Stores und eine vierstöckige Ikea-Kopie entdeckt. Oder die ganze Firma. Samt Fertigungshallen, Bürogebäuden, Logo und Visitenkarten. So geschah es dem japanischen Elektrokonzern NEC, der in der chinesischen Provinz auf einen Doppelgänger mit mehr als 50 Fabriken stieß, der weltweit operierte und unter dem Namen NEC sogar Lizenzen an Dritte weitervergab. Das US-Magazin »Time« wiederum erzählte die schöne Geschichte vom amerikanischen Industrieklebemittel-Hersteller Abro, der sich in einem 100 Prozent chinesischen Double wiederfand, geklont von einer Firma mit dem schönen Namen »Hunan Magic Power«. Als der verblüffte Abro-Chef Timothy Demarais auf der Kantoner Messe den Magic-Power-Chefzur Rede stellte, da zog dieser umfangreiche Beweise hervor, die ihn als rechtmäßigen Inhaber der Marke Abro ausweisen sollten, darunter eine Musterkarte, auf der eine Amerikanerin zu sehen war, die Epoxydharz auf ein Fahrrad aufträgt. Geschlagen gab der Fabrikant aus Hunan sich erst, als Demarais seinerseits seine Geldbörse zückte und daraus ein Foto hervorzog. Das Foto zeigte die Dame auf der Musterkarte – Demarais’ Ehefrau.
    Wenn es auch stimmt, dass der Geist kostbar ist, der in vielen der Originale steckt, so wird ein positiver Aspekt dabei bislang recht wenig diskutiert: der zwar von den Fälschern nicht beabsichtigte, aber gleichwohl fruchtbare Beitrag ihrer kriminellen Aktivitäten zur Entwicklungshilfe. Die Tatsache also, dass auch unbezahlter Geist segensreich wirken kann.
    Die »Internationale Allianz zum Schutze des geistigen Eigentums«, ein Verein der US-Industrie, schätzt ihre Verluste durch Chinas Raubkopien von Filmen, Software und Büchern auf fast drei Milliarden Dollar im Jahr. Praktisch jeder chinesische Computer läuft mit Raubkopien, jeder, der sich eine DVD anschaut, hat sich den Film als Raubkopie für sechs bis zehn Yuan das Stück besorgt. Der Umkehrschluss bedeutet im Noch-immer-Entwicklungsland China aber: Wären nur die Originale zu haben – die überwältigende Mehrzahl der jetzigen Konsumenten würde darauf verzichten müssen. »Mit Raubkopien habe ich die gesamte Popgeschichte des Westens nachgeholt, angefangen bei den Beatles«, erzählt ein befreundeter Musiker: »Und alle Fassbinder- und Fellini-Filme angeschaut.« Die Raubkopiererei ist wahrscheinlich das heute mächtigste und nachhaltigste Programm zur Einführung von Chinas Massen in die westliche Kultur, kein geringer Beitrag also zur Verständigung der Völker. Zugegeben: auf Kosten der westlichen Kulturindustrie. Aber nicht ohne die Sympathie mancher ihrer Akteure: »Je mehr Leute einen Film sehen, umso besser«, urteilte der RegisseurMichael Winterbottom, bei einem Pekingbesuch nach Raubkopien seiner Filme befragt.
    Natürlich steckt hinter den meisten Fälschungen schlicht die Gier nach leicht verdientem Geld. Immerhin: Manche der Imageschmarotzer verleihen ihren Kreaturen noch einen Hauch von Kreativität. Da gibt es die Verschmelzer, etwa die Fast-Food-Kette, die sich in Symbiose ihrer amerikanischen Vorbilder »McKentucky« (chin.: Mai Kenji ) nennt. Oder die Autofirma Geeli , der ihr altes Modell wohl selbst etwas zu gewagt schien, das über einen von Mercedes kopierten Kühlergrill auch noch einen Stern nach Art der Stuttgarter setzte. Das Nachfolgemodell der Firma kombiniert nun den Mercedes-Kühler mit einem BMW nachempfundenen Logo. Nicht weniger originelle Ausgeburt der Markensucht ist das »Armani«-Hemd, das mit »Boss«-Preisschild in der »Ralph-Lauren«-Schachtel verkauft wird. Neben den Verschmelzern gibt es die Hochstapler: Kulturparasiten, die berühmten Namen eigene Werke unterzujubeln suchen. Während der Rest der Welt noch sehnsüchtig auf Band sechs der Harry-Potter-Serie wartete, durften Leser in China längst unter einem Dutzend Potter-Abenteuern wählen (»Harry Potter und die goldene

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