Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Täuschung um des Prestiges willen: wenn Heerscharen von Tagelöhnern vor Ankunft einer Inspektorentruppe des Internationalen Olympischen Komitees im Februar Pekings braune Grashalme entlang der großen Straßen mit grüner Farbe besprühen. Oder wenn die chinesischenSchriftzeichen auf dem Olympiaplakat »ein neues Jahrhundert und ein neues Peking« versprechen, die an sentimentale Ausländer gerichtete englische Fassung auf demselben Plakat direkt unter den chinesischen Schriftzeichen hingegen »ein neues Jahrhundert und ein altes Peking«. Das meiste ist Lüge im Dienste des Machterhalts: etwa die Geiselnahme der eigenen Sprache, das Fälschen der Wörter. Das chinesische Fernsehen: ein einziger schriller falscher Ton. Wo die Kader »Nachrichten« sagen, meinen sie Propaganda, wo sie das »Volk« im Munde führen, sich selbst. »Stabilität« bedeutet ihre ewige Herrschaft, und von ihnen seit einigen Jahren gerne benutzte Begriffe wie »Rechtsstaat«, »Menschenrechte« oder »Demokratie« leiten sich von diesem Ziel ab.
Früher ging es der Macht um Kontrolle, heute geht es ihr ebenso sehr ums Geld. Unterwegs hat sie ihr herrscherliches Charisma verloren, jene von den Konfuzianern beschworene königliche Tugend. Einst vermochte die Partei, ihrem Volk ein Korsett aus einer Ideologie zu schnüren, die sich im Nachhinein als verrückt, gar mörderisch erwiesen haben mag, die damals aber religiösen Glauben hervorrief und mit manchen ihrer Postulate – spartanischer Lebensstil, Aufopferung für das Kollektiv, Ablehnung jedes Gewinnstrebens – auch moralischen Halt bot. Heute durchschaut das Volk die Autorität als verrottete, von der man sich Stabilität, Frieden und Wohlstand erhofft, deren Vertretern man ansonsten aber die Jagd nach persönlichem Vorteil unterstellt, welche sie mit hohlen Worten maskieren. Die alten Werte sind über Bord gegangen, neue haben sich noch nicht aufgetan.
Wen also wundert’s, wenn das Gscherr es dem Herrn nachtut, wenn man im ganzen Land über Kopien, Attrappen und Illusionistenbühnen stolpert? Einige in China lebende Westler haben sich aus Freude an der Sache und aus unternehmerischer Findigkeit ein Doppelleben als »Mietausländer« zugelegt: Wann immer eine chinesische Firma oder Organisation anruft, werfen sie sich in Anzug und Krawatte, springenauf die Bühne und unterzeichnen im Blitzlicht der herbeigeorderten Presse als »ausländischer Investor« Geschäftsverträge oder verleihen offiziösen Veranstaltungen Glamour und Vertrauenswürdigkeit. Und dies beileibe nicht nur in der Provinz: Ein kurzfristig einbestellter deutscher Sinologiestudent hielt unlängst in der Großen Halle des Volkes bei einer Umweltschutzkonferenz als »ausländischer Experte« eine Lobesrede auf die Errungenschaften chinesischer Umweltpolitik. Daneben verdient sich derselbe Student ein gutes Taschengeld, indem er für ein Pekinger Architekturbüro bei Präsentationen als dessen original deutscher Architekt auftritt, um die Schultern stets lässig einen Kaschmirschal geworfen. Seine chinesischen Chefs bezahlen ihm 1000 Yuan pro Auftritt und verbieten ihm ausdrücklich, zu erkennen zu geben, dass er Chinesisch spricht. »Das Ausländische ist immer das Bessere«, erklärt sich der Student das Motiv seiner Chefs: »Als Ausländer bist du Trophäe und Beute zugleich.«
Meist sind die Schauspieler Chinesen. Im Örtchen Yangshuo in der Provinz Guangxi kann man sich einen Ehrfurcht einflößenden tausendjährigen Banyanbaum ansehen. Die Würde des alten Giganten steht in starkem Kontrast zu dem Vergnügungspark, mit dem ihn die Kreisregierung eingezäunt hat, damit sie Eintritt kassieren kann. An einem Ort, der vor Errichtung des Parks selbst herrliche Natur war: gelegen an einem träumerisch mäandernden Fluss, dazu Büschel von Riesenbambus an den Bergfuß drapiert wie Gamsbartpinsel auf einen Tirolerhut. Im Preis inklusive ist eine der bei chinesischen Touristen beliebten Tanz- und Singvorführungen von ethnischen Minderheiten, die alle zehn Minuten wiederholt wird: in diesem Fall eine Mischung aus Tanz und Geschicklichkeitsspiel, bei dem Frauen des Mulao-Volkes zwischen zwei rhythmisch gegeneinandergeschlagene Bambusrohre springen müssen. Nach der Showeinlage dürfen sich die Touristen mit den in bunten Trachten und Turbanen steckenden Frauen gegen ein Entgelt von zehn Yuan fotografierenlassen. Nur: Es sind gar keine Mulao-Frauen. »Nein, wo denkst du hin, wir sind alle Chinesinnen von hier«,
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