Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
und wartet: Nichts wächst – es waren gefälschte Samen. Der Bauer ist verzweifelt, will nicht mehr leben. Er geht in den Schuppen, nimmt die Flasche Rattengift, die da steht, und trinkt sie auf einen Schluck leer: Nichts passiert – der Giftverkäufer hatte ihn übers Ohr gehauen. Überglücklich über den folgenlosen Selbstmordversuch, beschließt die herbeigeeilte Familie zu feiern. Sie öffnet eine Flasche vom guten Reisschnaps. Jetzt fällt der Bauer tot um – es war gefälschter Schnaps, hochgiftig.
Das sagt Konfuzius: Wer die Ordnung im Staat herstellen möchte, der müsse zunächst die Begriffe richtigstellen. Denn: »Wenn die Begriffe nicht richtiggestellt sind, dann sind die Worte nicht gehorsam, und wenn die Worte nicht gehorsam sind, dann gelingen die Dienste nicht. Wenn die Dienste nicht gelingen, dann nehmen Riten und Musik keinen Aufschwung, und wenn das passiert, dann treffen Strafen und Bußen nicht zu. Wenn Strafen und Bußen nicht zutreffen, dann weiß das Volk nicht, wohin mit Hand und Fuß.«
So ist das in China heute: Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen, und die meisten wissen nicht so recht, wohin mit Hand und Fuß.
Menschenrecht
Ist im Chinesischen auch lesbar als Menschen macht: Das Zeichen quan kann sowohl »Recht« als auch »Macht« bedeuten.
1.
»Die Sache der Menschenrechte erlebte in China zwei große Durchbrüche: Der erste war die kommunistische Revolution von 1949, der zweite die Reformpolitik Deng Xiaopings.« (Originalzitat aus dem chinesisch-deutschen → Menschenrechtsdialog , in diesem Falle gesprochen von einem Vertreter der regierungstreuen chinesischen »Gesellschaft für Menschenrechte« zur deutschen Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wiezcorek-Zeul)
2.
»Wenn man sich erst an den falschen Zungenschlag gewöhnt hat, ist es ganz wunderbar zu beobachten, wie unmöglich es ist, davon wieder loszukommen.« (Michel de Montaigne, Die Essais )
3.
Alle Menschen haben das Recht zur Lüge. Aber nur die Herren nehmen es unwidersprochen in Anspruch und lächeln dabei ganz ungeniert. Das ist das Recht der Herren.
4.
In China herrscht Herrenrecht. (Auch: Herren macht .)
5.
»Suchen Sie sich zehn Leute auf der Straße, die zu einem Polizisten gehen und die ihm zehnmal oder hundertmal ins Gesicht sagen: ›Menschenrechte sind wichtiger als die Olympischen Spiele‹... Wenn die Leute müde werden vom langen Reden, dann wird der Polizist ihnen wahrscheinlich eine Tasse Tee anbieten.« (Der chinesische Außenminister Yang Jiechi, 2008)
6.
Eine »Einladung zu einer Tasse Tee« ist in China heute ein sarkastisch gebrauchtes Synonym für ein Verhör durch die Geheimpolizei.
Hamwer nich’
Wird hier nur aus Sentimentalität aufgeführt. Mei you war noch vor wenigen Jahren der erste und meist einzige chinesische Begriff, den jeder Chinabesucher beherrschte: eine gefürchtete, weil einem von morgens bis abends schlecht gelaunt entgegengeraunzte Erwiderung, egal, ob im Kaufhaus, im Hotel oder am Ticketschalter. Entschlüpfte meist dem Munde zerstrubbelter Angestellter, die noch beim Reden den Kopf schon wieder auf ihre Ärmelschoner fallen ließen, welche nur zu dem einen Zweck geschaffen worden zu sein schienen, ihre meist blauen Polyesterjacken beim Dauernickerchen vor der Staubschicht auf der Theke zu schützen. Mei-you- T-Shirts gewitzter chinesischer Straßenhändler waren Verkaufshits unter Touristen. Mei you ist inzwischen Geschichte, es sank gemeinsam mit der Plan- und Mangelwirtschaft ins Grab. Mittlerweile fließen Chinas Läden und Märkte über vor Waren, und die Verkäufer winken einem schon von Weitem, denn sie arbeiten jetzt auf eigene Rechnung oder bekommen Provision. Mit dem Wandel vom Nachfrage- zum Angebotsmarkt und dem Aufkommen von vor Eifer schier platzenden Ärmelzupfern und Strickwarentoreros,die sich mit ihren Häkeldecken den vergeblich Haken schlagenden Touristen in den Weg werfen wie der Stierkämpfer mit seiner roten Capa dem Stier ( »Tschiipa tschiipa! Looka looka!« ), schlich sich eine andere Phrase ins Vokabular der Chinatouristen, nämlich → bu yao , dt.: »Will ich nicht. Will ich nicht!! WILL ICH WIRKLICH NICHT!!!«
Helden der Arbeit.
Oder: Dem Volke dienen
Ich weiß nicht mehr genau, wann ich die Idee zu diesem Kapitel hatte. War es, als mir die Kellnerin an jenem frostigen Dezemberabend zur Begrüßung mit einer kleinen Zange und einem großen Lächeln ein
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