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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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immer mit Ihren Vorstellungen decken mag: Der gute Wille ist erstaunlich. In Peking können Sie sich das Mineralwasser ebenso nach Hause liefern lassen wie das Zugticket oder den Doktortitel jeder gewünschten Eliteuniversität, und zwar eine Stunde nach Bestellung. Und der Obstverkäufer schält einem an Ort und Stelle die Ananas. Versuchen Sie das mal Ihrer Standlfrau am Viktualienmarkt nahezubringen.
    Natürlich haben viele der neuen Dienstleistungen damit zu tun, dass China über ein unerschöpfliches Reservoir an billigenArbeitskräften verfügt: Allein das Heer der städtischen Arbeitslosen wird auf 30 Millionen geschätzt, auf dem Land warten noch einmal mindestens 200 Millionen auf jede noch so kleine Chance, etwas zu tun. Wenn Ihr Taxi am Pekinger Flughafen ankommt, wird sich eine Gruppe rot uniformierter Dienstmänner darum balgen, Sie und Ihr Gepäck gegen eine Gebühr von zehn Yuan (ein Euro) zum Einchecken zu lotsen: allesamt ehemalige Arbeitslose (wie übrigens auch die Ampelmännchen in ihren braunen Schlotteruniformen, die mittlerweile an jeder zweiten Kreuzung Pekings die Radfahrer terrorisieren mit so wunderlichem Verlangen wie: Bei Rot stehen bleiben!). Besonders gern fahre ich mit Besuchern zum Autowaschen am Liangma-Kanal. Den meisten bleibt die Sprache weg: Kaum ist der Wagen in die Garage eingefahren und einmal grob abgespritzt, fällt wie auf Kommando ein wild rotierendes Wäschergeschwader vom Himmel und wirft sich auf das Auto wie ein Schwarm Piranhas auf eine ins Wasser gefallene Bergantilope: Einmal zählte ich acht Männlein gleichzeitig. Ein Wirbelwind aus Tuch und Leder hüllt einen ein, eine Gischt aus Schaum und Wasserfontänen prallt an die Fenster, hier taucht ein glotzendes Auge aus der Gischt, dort wischt ein Haarschopf vorüber, und kaum hat man sich die Augen gerieben, ist der Spuk auch schon vorbei und das Auto blitzblank: für 15 Yuan.
    China ist ein Entwicklungsland, als Ausländer ist man für die meisten Chinesen unvorstellbar reich. Muss man also ein schlechtes Gewissen haben, wenn man solche Dienstleistungen in Anspruch nimmt? Ich finde nicht: Die Leute sind nett zu einem, man ist nett zu den Leuten und trägt dazu bei, dass sie ihren Unterhalt verdienen. Die Autowäscher sind im Hauptberuf Torwächter bei Häusern reicher Leute und verdienen sich an ihrem freien Tag etwas dazu; der schöne Friseur hat sich mittlerweile selbst ein Auto geleistet. Es ist auch mehr als nur das Geld. Geld verdienen wollen die Leute bei uns ja auch. Es ist eine Frage der Einstellung.
    Kellnerinnen in China werden nun wirklich ausgebeutet, sie verdienen oft gerade mal 400 Yuan im Monat plus Kost und Logis für sieben Tage Arbeit die Woche – und verrichten ihre Aufgabe doch meist so strahlend und eifrig, dass die mürrischen Matronen aus Münchens Wirtshäusern ihnen sofort die Gewerbeaufsichtsbehörde an den Hals schicken würden. Wenn Sie Ihr Baby mithaben, werden sich die Kellnerinnen darum streiten, welche von ihnen den krähenden Balg entführen darf, während Sie gemütlich speisen. Und wenn Sie sich auf Fischduft-Aubergine gefreut haben, und es ist gerade keine Aubergine in der Küche, dann passiert es nicht selten, dass Koch oder Kellnerin losrennen zur Markthalle oder zum Nachbarrestaurant, um Ihren Wunsch zu erfüllen. In den Weich-Sitzen-Waggons der Züge schenken Ihnen die Schaffnerinnen ungefragt Tee nach. Dabei nehmen Schaffnerin wie Kellnerin nicht einmal Trinkgeld. Weil sich das aus maoistischer Zeit stammende Gebot, ein stolzer Proletarier akzeptiere keine Almosen, erstaunlich hartnäckig hält.
    Ein paar Ausnahmen gibt es schon: Der Gepäckträger im Hotel zum Beispiel lässt sich mittlerweile ganz gern durch einen Dollarschein erniedrigen. Ebenso der Dienstmann auf der Herrentoilette in Pekings »Get Lucky«, einer Musikkneipe. Dort nämlich fand ich den Satz eines alten Schulkameraden außer Kraft gesetzt, welcher mir nach zwei Wochen unter den geschäftstüchtigen Chinesen zugerufen hatte: »Vor denen ist man ja nur auf der Toilette sicher«, bevor er stolperte auf seiner Flucht und sofort unter einem Berg mit Drachen und Päonien bestickter Seidendecken ( »Tschiipa!« ) begraben wurde, auf die es sodann raubkopierte DVDs regnete. Nun: Im »Get Lucky« ist man nicht einmal dort sicher. Um dem Gast die Pinkelpause möglichst kurzweilig zu gestalten, hat die Geschäftsführung der Bar über jedem Pissoir Flachbildschirme angebracht, die in raschem Wechsel bunte Bilder aus

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