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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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dampfend heißes Frotteetuch reichte, in das ich mein Gesicht so traumselig versenkte, dass ich darüber beinah das Essen vergessen hätte? War es in dem Teehaus in Chengdu, wo ein eifriger und geschickter Ohrenwerker, wie es der Brauch ist vor Ort, mir und meinen Freunden mit einem langen Bambusschäufelchen den Schmalz aus den Gehörgängen bohrte, derweil wir über einer Kanne Wulongtee Gott und die Welt vergaßen? Nein, ich glaube, es war an jenem Tag, als ich nach drei Tagen Skifahren und Frostbeulenpflege in der Mittleren Mandschurei mitternachts am Pekinger Flughafen landete, hundemüde zu meinem Auto stapfte und in Vorfreude auf mein Bett die Zündung betätigte. Nichts passierte – ich hatte das Licht brennen lassen, die Batterie war leer. Heulen hätte ich mögen.
    In Deutschland rufen Sie an dieser Stelle den ADAC. Und in China? Überreden Sie einen Taxifahrer, Sie bis ins nächste Dorf abzuschleppen, wo sich eine Reihe Autowerkstättenbefinden. Es war Mitternacht, alles war pechschwarz, als wir einrollten. Kein Problem, sagte der Taxifahrer und donnerte mit der Faust gegen ein heruntergelassenes Garagentor. Bald tauchte ein zerzauster Kopf auf, der in einem ölbefleckten Pyjama steckte. Keine zwei Minuten später gingen die Lichter an, und es umringten drei sich den Schlaf aus den Augen reibende Männer und die Chefin mein Auto. Fix setzten sie mir eine neue Batterie ein, dann entspann sich eine heftige Debatte: Sie hatten kein Starterkabel in der Werkstatt. Es dauerte nicht lange, da hatte einer der drei eine Idee: Er packte einen Drahtschneider, rannte über die Straße zur friedlich schlummernden Nachbarwerkstatt, kletterte an deren Außenwand hoch – und zwackte kurzerhand drei Meter Stromkabel ab, die dort am Dach baumelten. Strahlend kam er zurück, in der Hand: unser Starterkabel. Eine halbe Stunde später war ich zu Hause. Ich weiß, der bestohlene Nachbar mag da anders denken, aber mich drängt es seit dem Tag, der Welt zuzurufen: China ist ein Serviceparadies.
    Es ist dies keine ungefährliche Behauptung. Ich habe auch deshalb lange gezögert damit, sie publik zu machen, weil einer meiner Kollegen mir in diesem Falle mit dem Entzug der Freundschaft gedroht hat, mindestens aber mit dem Verfassen des ersten Leserbriefes seines Lebens, in dem er mich als manipulativen Ignoranten entlarven wird.
    Dann aber hatte ich wieder einmal den Kopf auf einen Packen Kuschelhandtücher des Friseursalons »Kleopatra« gebettet und schickte mich an, der Welt zu entgleiten. »Kleopatra« war auch deshalb zu meinem Stammsalon geworden, weil sich unter den deutschen, französischen und russischen Damen der Nachbarschaft ein erbitterter Wettbewerb um die Gunst des Friseurs entsponnen hatte und es höchst kurzweilig war zuzusehen, wie das zu toupierende Völklein um die begnadeten Hände des jungen Mannes buhlte und wie sie erröteten unter einem, ach nur einem Blick aus seinen Kohleaugen, der sich mit dem ihren im Spiegel traf. Unfaire Vorteilein diesem Wettbewerb erstritten sich regelmäßig die zahlreichen russischen Kundinnen, die nach vollbrachtem Aufpumpen ihres blonden Atompilzes dem Friseur nicht selten einen Geldschein in den Ausschnitt schoben, die etwas vorwitzigen in die vordere Tasche seiner engen Jeans, wo sie mit ihrer Hand natürlich nachhelfen mussten, bis der Schein sicher verstaut war. (Unsere ans südliche Botschaftsviertel angrenzende Straße ist so sehr russisches Territorium, dass die Rikschafahrer hier jeden Europäer wie selbstverständlich auf Russisch ansprechen. Um die Ecke befindet sich der sogenannte Russenmarkt, wo sich die Kundschaft aus Moskau und Nowosibirsk eindeckt mit turmhohen Ballen neonlila und schlumpfblau eingefärbter Pelzmäntel und Lastwagenladungen von Büstenhaltern, so geräumig, dass man in einen von ihnen drei Chinesinnen gleichzeitig stecken könnte.)
    Da lag ich also, diesmal ganz bei mir selbst, mit geschlossenen Augen, während mich zwei resolute Hände in selige Trance kneteten: trommelten meine Schultern, kratzten meinen Skalp, zwickten meine Ohrläppchen, boxten meine Rippen, klöppelten gegen meine Schläfen, zogen mir die Finger lang. Wo auf der Welt gibt es das sonst, dass man beim Friseur vor dem Haarschnitt eine halbstündige Nackenmassage angeboten bekommt? In China ist das üblich. In China können Sie sich auch bei einem Spaziergang im Park massieren oder auf dem Gehsteig vor Ihrem Haus die Haare schneiden lassen. Selbst wenn das Resultat sich nicht

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