Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
der Speisekarte zeigen: Steak mit Pommes frites vor Rosenvase, Hamburger auf blauem Plastiktischtuch,fettglänzende Hotdogs. Und während Sie noch versunken an Reißverschluss und Hosenknopf herumfingern, tauchen in der Klotüre ein blütenweißes Hemd und eine korrekt sitzende Fliege auf: »Huhu!«, ruft der dazugehörige Kopf mit breitem Lächeln. Das ist der Klomann. Dass er tatsächlich Sie meinte, merken Sie kurz darauf vor dem Waschbecken: Zuerst fährt der eifrige Kerl eine ganze Batterie Seifenfläschchen, Lotionen und Parfüms vor Ihnen auf, und Sie haben mit dem Händewaschen kaum begonnen, da steht er schon hinter Ihnen und verpasst Ihnen, ungelogen, eine Schulterund Nackenmassage. Gegenwehr zwecklos, Trinkgeld erwünscht. Vor der Tür grölt derweil Pekings neueste Mädchenpunkband von der Bühne.
Nicht vergessen: Wir reden hier über ein Land, das sich noch immer »kommunistisch« nennt. Das eben noch von graugesichtigen, nylongewandeten Damen und Männern regiert wurde, denen die Theken in den staatlichen Läden und Kaufhäusern vor allem zur kollektiven Ablage ihrer vom Kundenignorieren erschöpften Köpfe dienten.
So war China früher: das ganze Land ein höhnischer Kommentar zu Mao Zedongs Kampfruf »Dem Volke dienen«. Ein Land, in dem die Bedürfnisse der Menschen so realsozialistisch traurig behandelt wurden, dass es sich zum Trost Märchen schuf samt Prinzen in schimmernder Rüstung: Arbeiterhelden nannte man die. Die Pekinger Busschaffnerin Li Suli war so eine. Sie war, das wusste wenigstens die »Volkszeitung« dem staunenden Volk zu berichten, »immer freundlich zu den Fahrgästen« (was reichte, um sie beim nächsten Volkskongress ins Parlamentspräsidium zu heben). Oder der Schanghaier Klempner Xu Hu: Ihm widmeten die Parteidichter Mitte der Neunzigerjahre Verse, Chinas Komponisten schrieben ihm Hymnen (»Xu Hu, wo bist du?«): weil Xu Hu in seiner Freizeit kostenlos verstopfte Toiletten reparierte, so die tausendfach ausgeschmückte Legende. Während draußen in der sanitären Wirklichkeit die Republik verzweifelt voneinem Fuß auf den anderen hüpfte, weil die Schüssel mal wieder überfloss und dem Tage später herbeischlurfenden Kombinatstechniker auch nichts anderes einfiel, als das Porzellan in Stücke zu schlagen. Und heute? Haben die Kaufhäuser dieser Volksrepublik sieben Tage die Woche geöffnet, abends bis neun. Rufen Sie in Peking morgens China Telekom an, um einen Breitbandanschluss zu bestellen, und nachmittags stehen die Techniker auf der Matte: dauert zehn Minuten, kostet 400 Yuan. Gehört, Deutsche Telekom?
Jetzt hör ich aber auf. Ich seh schon, wie sie die Haare raufen in Pekings deutscher Botschaft und Gemeinde, weil zu Hause Staatssekretäre, Vorstände und Chefredakteure auf die Idee kommen könnten, China von der Liste der »Hardship-Postings« zu streichen: fort der Gehaltszuschlag, fort die zusätzlichen Urlaubstage, fort die Streicheleinheiten mitfühlender Kollegen. Zudem ist auch mir die andere Seite Chinas nicht fremd. Auch ich erhielt schon im Restaurant auf meine Frage nach Reis vom Personal die ungerührte Antwort: »Den Reis haben wir gerade selber aufgegessen.« Auch ich habe einen Scheck schon fünfmal hintereinander zurückbekommen: einmal, weil der Angestellte behauptete, seine Bank hätte noch nie Schecks angenommen, und mich dabei ansah wie einen Geisteskranken; einmal, weil mein Stempel das falsche Feld anriss; einmal weil wir den September als Monat Nummer »9« abkürzten statt wie korrekt als »09«; einmal weil wir verbotenerweise Kugelschreiber benutzten; und zu guter Letzt, weil wir ihn mit blauer Farbe ausfüllten statt wie vorgeschrieben mit Schwarz.
Ich habe ja den Verdacht, dass wir Schreiber gerade deshalb dieses Land so lieben: Für jede Behauptung, die einer beim Frühstück über China aufstellt, wird er Ihnen beim Abendessen mühelos das Gegenteil beweisen. Ohne die Frühstücksthese aufzugeben natürlich. Kein Yin ohne Yang. Im nächsten Buch also: »China – die Servicehölle«. Bis dahin finden Sie mich im Salon »Kleopatra«, Haarwurzelkraulen.
Kommunismus
» Shenme dongxi? « – »Was für ’n Ding?« (Neulich im Politbüro).
Wandelt sich das Land, häutet sich die Sprache. Chinas Wörter marschieren mit in die Moderne, und manche ihrer prominenten Vertreter legen sich dabei eine neue Bedeutung zu: Wegmarken des Wandels. Das hat mit der Politik zu tun, weil vor noch nicht allzu langer Zeit alles Politik war in
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