Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
diesem Land, und so ist es der Macht geschuldet, wenn viele Begriffe heute ihres Sinnes entkernt sind, zuschanden geritten, zu Tode geheuchelt: rissige, trockene Hüllen, die nur darauf warten, beim nächsten anständigen Hauch zu Staub zu zerfallen. »Kommunismus« ist so ein Wort. Gleichzeitig ist es ein Zeichen der Emanzipierung der Gesellschaft, dass sie viele Begriffe heimholt, ihnen ihre ursprüngliche Bedeutung wiedergibt – oder sie füllt mit frischem, originellem Sinn. Schwerter zu Pflugscharen also. Vgl.→ tong zhi (nächste Seite)
Genosse Geliebter
1. Genosse.
Einst in China allgegenwärtige Anrede, mittlerweile jedoch ähnlich rar wie der rote → Kommunist und der weiße Jangtse-Delfin. Ihre Stelle zurückerobert haben sich die über Jahrzehnte als bourgeois verpönten xiao jie (»Fräulein«), xian sheng (»Herr«) oder gar: Mao hilf!, lao ban (»Chef«). Gleichzeitig mit seinem Dahinscheiden als Ausweis der rechten bzw. linken Gesinnung jedoch hat tong zhi eine Wiedergeburt in einer anderen Welt erlebt und heißt heute:
2. Homosexueller.
Der wundersamen Wandlung den Boden bereitet haben mag das Lied »Genossin Geliebte« (1988) des taiwanischen Rockpoeten Luo Dayou. Endgültig eingeführt wurde das Wort in seiner neuen Bedeutung wenig später von dem Hongkonger Autor und Filmemacher Edward Lam, bevor der neu programmierte Begriff dann den Weg zurück aufs chinesischeFestland fand. Heute ist tong zhi die gebräuchliche Selbstbezeichnung von Chinas Schwulen und Lesben. Von Urheberrechtsstreitereien mit der KP ist bislang nichts bekannt, im Gegenteil erleben Chinas Homosexuelle gerade eine Periode relativer Toleranz und als gesellschaftliche Gruppe ihr Coming-out. Noch Ende der Neunzigerjahre verwies mich ein bekannter Schanghaier Sexualforscher, den ich nach einem Experten für Homosexualität gefragt hatte, an einen Arzt aus der Hirnchirurgie des Nanjinger Psychiatrischen Krankenhauses. Im Jahr 2001 dann strich Chinas Psychiatrische Vereinigung das gleichgeschlechtliche Liebesleben erstmals aus dem Kapitel »Perversionen« ihres Handbuches der Geisteskrankheiten, und heute verkauft man mit tong-zhi -Titelgeschichten Hochglanzmagazine. Wörtlich bezeichnet tong zhi Menschen, die »das gleiche Ziel/Anliegen« haben.
Mao-Anzug
Zuerst gilt es, eines der hartnäckigeren Missverständnisse der Modegeschichte auszuräumen. Es hat diesen Anzug tatsächlich der größte Revolutionär seiner Zeit erfunden. Ein Mann, der die alte Ordnung stürzte, der als Chinas Retter bejubelt und zum Präsidenten des Landes gewählt wurde. Zeitlebens stolzierte der Mann in dem von ihm entworfenen Kleide umher, bald taten es ihm Unzählige nach. Deshalb trägt das gute Stück in China bis heute seinen Namen.
Aber nein, es heißt nicht »Mao-Anzug«.
Fragen Sie in China nach einem »Mao-Anzug«, so werden Sie verständnisloses Schulterzucken ernten – von so einem Ding hat hier noch nie einer gehört. Sprechen Sie dagegen vom Zhongshan -Anzug, dann werden die Augen aufleuchten: die einen vor sentimentaler, die anderen vor schmerzlicher Erinnerung. Also: Mao trug ihn, aber nicht er hatte den Anzug entworfen, nein, das war Jahrzehnte zuvor Sun Yat-sen gewesen, der Nationalist und Demokrat, der 1911 den letzten Kaiser stürzte. Und weil der im Westen als Sun Yat-sen bekannte Mann im Hochchinesischen stets mit seinem zweiten Namen »Sun Zhongshan« gerufen wurde, heißt der vonihm erfundene Zweiteiler in China bis heute zhong shan zhuang , Zhongshan-Anzug.
Der Anzug musste dem Schneider regelrecht abgerungen werden, zumindest wenn wir dem chinesischen Fernsehen glauben wollen, das die Stunde seiner Geburt in der historischen Seifenoper »Der Weg zur Republik« nachgestellt hat. »Was soll denn das werden?«, grummelt da der Schanghaier Schneider: »Dieser Kragen – da ersticken Sie doch... und die vier Taschen außen, so was Komisches: Wollen Sie etwa Zauberkunststückchen vorführen?« So meckert und so kichert der Schneider, bis seinem Kunden der Kragen platzt: »Zahl ich oder du?«, schimpft Sun Yat-sen. Ein recht prosaischer Anfang für ein Gewand, das von seinem Schöpfer schon als Signal verstanden worden war, nach seinem Tod 1925 aber noch auf ganz andere, von ihm nicht vorher gesehene Weise zum Symbol werden sollte für das Schicksal dieses Volkes.
»Sun wollte China retten«, sagt der alte Meister Ding voller Ehrfurcht, »für uns ist er der ›Vater der Nation‹ – ein guter Mann.«
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