Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Klappt es? »Ich kämpfe noch«, sagt Sui: »Mit mir und mit Mao.«
Da geht es ihm wie seinem Land. Oben erwähnte Seifenoper »Marsch in die Republik« endet mit einer leidenschaftlichen Ansprache Sun Yat-sens, in welcher er die Symbolik seines Anzugs erklärt: die drei Manschettenknöpfe, die für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stünden, die vier Taschen, die die vier grundlegenden Rechte des Volkes symbolisierten. Die Innentasche, die er die »Geheimwaffe des Volkes« nennt: »Sie steht für das Recht zur Amtsenthebung korrupter und unfähiger Politiker«, ruft der Fernseh-Sun. Er rief nur einmal. Die Serie wurde nach der Erstaustrahlung auf dem Staatssender CCTV eingestellt, die DVD ist heute verboten.
Schönheit. Oder: Weiße Haut,
große Augen
Die moderne Wissenschaft lehrt uns, die Empfindung von Schönheit habe zu tun mit Symmetrie und Ebenmaß der Gesichtszüge. Innerhalb dieses uns in die Gene eingestanzten Rahmens scheint die Vereinbarung einer Gesellschaft darüber, was schön sei und was nicht, immer wieder neu verhandelbar, das war in China nie anders. Die fülligen Palastdamen mit den Mondkuchengesichtern, die uns in den Figurinen der Tang-Zeit entgegentreten, haben mit den Chinesinnen von heute vielleicht nur noch eines gemein: die Vorliebe für vornehme Blässe, die in den meisten vorwiegend bäuerlichen Gesellschaften als Ausdruck des sozialen Status wirkt: Sieh her, ich bin keine Landfrau, ich habe es nicht nötig, in der Sonne zu arbeiten. Werden diese Frauen Mütter, so verkünden auch heute noch nicht wenige von ihnen, sie wollten ihren kleinen Balg bai bai pang pang heranziehen: »weiß und dick«, in unseren Ohren kein sonderlich attraktives Erziehungsziel, in China jedoch auch das ein Ausfluss der kollektiven Erinnerung an hartes, entbehrungsreiches Bauernleben.
In China wird selbst einfacher Körperlotion ein Bleichmittel zugefügt, bevor sie ins Regal kommt. Von den 250 Mitgliederndes Pekinger Golfclubs Green Links, den ich einmal besuchte, waren gerade fünf Frauen. Was keinesfalls an mangelnder Emanzipation lag, sondern schlicht an der »Angst vor der Sonne«. Das sagte Clubmanagerin Angela Liu, die selbst mehr als ein Jahr lang mit ihrer Eitelkeit kämpfte, bevor der Spaß am Sport schließlich die Oberhand gewann. Die fünf Damen unter den Mitgliedern haben das Dilemma schließlich gelöst, indem sie nur noch nachts spielen, bei Flutlicht.
Dieselbe Funktion der gleichsam körperlichen Abgrenzung vom arbeitenden Bauern- und Proletariervolk erfüllt bei chinesischen Männern der Nagel des kleinen Fingers, den manche zu einem regelrechten Schäufelchen heranwachsen lassen. Lange Fingernägel – auch das war früher das Privileg der Aristokratie, die mit ihren Händen nicht das Reisstroh zu bündeln und nicht den Bewässerungskanal auszumisten, also keine körperliche Arbeit zu verrichten brauchte. Edelfräulein stülpten sich schon damals falsche Nägel aus Silber oder Gold über, Krallen, lang wie Spinnenbeine. Heute kann man den langen Nagel bei nicht wenigen Taxifahrern und sogar Bauarbeitern finden, die damit ihren sozialen Ehrgeiz demonstrieren, im Übrigen aber mit dem Pragmatismus der einfachen Leute das Utensil beim ungenierten Freischaufeln verstopfter Nasen und verschmalzter Ohren einer nützlichen Verwendung zuführen.
Es wird niemanden verwundern, dass Chinesen auch Schönheit für essbar halten, dass sie sogar ein Sprichwort haben, welches wortwörtlich genau das verkündet: Xiu se ke can . Die »Mandelaugen« und der »Kirschmund«, die der Schriftsteller Cao Xueqin (wahrscheinlich 1715–1763) einer von ihm beschriebenen Protagonistin andichtete, sind auch uns vertraut. Und das Näschen, »so weiß und glänzend wie Seife aus dem weißesten Gänsefett«? Das müssten wir vielleicht erst einmal zu Gesicht bekommen. Andere Poeten beschrieben die Wangen ihrer Geliebten so süß und glatt wie eine »zum Aufschneiden bereite Melone«, ihre Finger soschlank wie frisch geschälte Frühlingszwiebeln und ihre Brüste – die Trefflichkeit dieser Schmeichelei dürfte auch unter Landsleuten nicht unwidersprochen geblieben sein – als »Hühnerköpfchen«.
Kein Attribut weiblicher Schönheit erschien dem Europäer jedoch fremder als jenes, das fast ein Jahrtausend lang imstande war, den chinesischen Mann in lustvolles Entzücken, nicht selten in Raserei zu versetzen: der Lotusfuß. Jene »zarten Bambussprossen«, jene »weißen Teigtäschlein«, jene
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