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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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Braut, ihn zu heiraten.« Und es dauerte nicht mehr lange bis zu jenen Jahren, in denen China zum Irrenhaus wurde und das hier zu seiner Zwangsjacke. »Mao war unser Gott«, erinnert sich Sui. »Er war der Berg, auf den ich mich stützte.« Es war Kulturrevolution (1966–1976), und der 16-jährige Sui Jianguo zog aus als Rotgardist, Reaktion und Feudalismus zu zerschmettern. Unter die Räder des Rotgardistenterrors kam auch Schneider Ding; sein Vater war ein reicher Bauer gewesen, das genügte als Verbrechen: 13 Jahre lang fegte Dingnun den Boden und putzte Latrinen. Welche Ironie: Ding durfte keine Zhongshan-Anzüge mehr schneidern in einer Zeit, da plötzlich das ganze erwachsene Volk einen trug (die Jüngeren bevorzugten die grüne Armeekleidung). »Wir waren selbstlose Schräubchen im Werk des Sozialismus«, sagt Sui Jianguo. »China war ein Meer von grau, grün und blau«, sagt Meister Ding.
    Im fernen Westen sahen sie »blaue Ameisen«, die alle im »Mao-Anzug« umherliefen. Wie die kleine rote Mao-Bibel hatte auch der revolutionäre Schick seine Anhänger im Ausland: Der Sozialist Julius Nyerere brachte den Anzug zurück in seine Heimat Tansania, wo er als »Ki Mao« bis heute bei offiziellen Anlässen getragen wird und erst allmählich dem blumigen Mandela-Hemd Platz macht. Auf seine Art sei Mao ein Modezar gewesen, schreibt die Hongkonger Designerin Vivienne Tam: »Mao war Antimode... Wo sonst konnte ein Mann mehr als einer Milliarde Menschen sagen, was sie anzuziehen hatten?« Letztlich wurde das dem Zhongshan-Anzug zum Verhängnis: Die Chinesen sind zwar längst erwacht aus dem Mao-Rausch, aber die meisten laborieren noch an ihrem Kater – und sind des Gewandes noch immer bis zum Erbrechen überdrüssig.
    Die Parteibonzen tragen heute Krawatte und Anzug westlichen Zuschnitts, den Zhongshan-Anzug holen sie nur noch hervor, wenn mal wieder eine Rede über die alten Zeiten, über Opfergeist und Selbstlosigkeit ansteht, also nicht mehr oft. Das »Hongdu«, die staatseigene Schneiderei nahe beim Tiananmen-Platz, in der einst nur bestellen durfte, wer vom Rang eines Ministers war, ist heute trostlos verwaist. »Heute kaufen viele der Führer im Ausland«, seufzt Meister Ding: »Italienische Stoffe...«
    Ding Kuai’an hat bis zu seiner Pensionierung 2001 im »Hongdu« gearbeitet, hat dort genäht für Premier Zhou Enlai (»der Netteste«) wie für Deng Xiaoping (»noch kleiner alsich«). Nie etwas anderes als Zhongshan-Anzüge. »Am Schluss hatte ich mehr ausländische Kunden als Chinesen«, sagt er. Findet er das traurig? »Hilft auch nix, das Traurigsein«, sagt Ding. Die Jungen, meint er, würden den Anzug selbst geschenkt nicht mehr anziehen. Und er selbst? Besitzt nicht einmal mehr einen: »Schnürt einen viel zu sehr ein«, sagt Ding und greift sich mit der Hand an die Kehle.
    Ob Ding sich leise wundern würde, bekäme er einmal die Chance, eine feine Abendgesellschaft in Hongkong zu beobachten, in Taipeh oder gar in Schanghai und Peking? Ganz langsam kommt er nämlich zurück, der Zhongshan-Anzug. In seiner neuesten Wiedergeburt: als Fashion-Statement, nicht als Revolutionsfanal. Sie finden ihn wieder schick, die Jungen und Neureichen – gerade weil man sich heute damit von der Masse abhebt. »Praktisch ist er, da braucht man keine Krawatte«, sagt Max Yang, ein junger Medieninvestor, der sich gleich fünf Stück zugelegt hat – einen davon in Knallrot. »Und wenn ich zu Verhandlungen nach Europa fahre, erinnern sich die Leute hinterher zwar weder an mein Gesicht noch an meinen Namen, aber an den Anzug erinnern sich alle.« Liu Peng, ein Maler, findet, China sei schon ein seltsames Land: »Wenn du in die feinen Restaurants guckst, siehst du heute reiche Hongkonger im Zhongshan-Anzug – und wenn du aufs Feld schaust, dann stehen da unsere Bauern, die tragen mitten im Schlamm westliche Anzüge.« Auch das mag man als Sinnbild nehmen: In diesem Land des Umbruchs fügt sich kaum mehr etwas der ihm ursprünglich zugewiesenen Bedeutung.
    Sui Jianguo, der Bildhauer, wittert Revolutionskitsch: »Der Anzug ist Konsumgut geworden. Man trägt ihn so, wie man sich ein Che-Guevara-Poster an die Wand hängt.« Suis Studio im Pekinger 798-Fabrikgelände ist voller gewaltiger Plastiken: Marx und Jesus hat er ebenso in Zhongshan-Anzüge gesteckt wie Michelangelos »David«. Und dann stehen da Anzüge aus Gips, ganz hohl: »Ohne Hand und ohneHirn«, sagt Sui. Götteraustreibung, darum geht es ihm bei seiner Arbeit.

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