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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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tot und »so sweet, so cold, so fair«.
    In Kirgisien hatte die Musik – unter einer glühenden Sonne – vom Beginn der Liebe erzählt und hier, in einer Sackgasse mit einer flackernden Straßenlampe, sang Ex-Profi Eddie von ihrem Ende. Das ist der Magie egal. Sie kann überall hexen. Als ich vor meinem Hotel ausstieg, war ich seltsam erfüllt. Vom schönen Traurigsein. »Magic«, sagte Eddie noch, der offensichtlich in seinem dritten Beruf als Poet jobbte, »magic is a many splendid thing.« Manche verschenken einen Diamantring, andere einen einzigen Satz. Würde man die beiden, wie jetzt, nebeneinanderlegen: Sie funkelten ganz sicher um die Wette.

Rassismus, Dummheit und göttliche Anmaßung
    Leute, die behaupten, sie seien keine Rassisten, haben (meist) keine Ahnung. Weder von sich noch von diesem Wort. Sie glauben, kein Rassist zu sein bedeutet, an einem Araber, einem Schwarzen oder Roma – oder wer auch immer gerade als Sündenbock aktuell ist – vorbeigehen zu können, ohne die Lust auf einen Totschlag zu verspüren. Wie rührend. Als ob sich das Phänomen Rassismus nicht auf ungemein komplexe Weise ausdrücken würde. Es hat viele Schichten, ein Beispiel: Das Gesicht eines Weißen ist ein Gesicht. Das Gesicht eines Schwarzen ist zuerst schwarz und dann ein Gesicht. Vielleicht ist diese Abfolge von Wahrnehmung die subtilste Form von Wertung. Und sicher ist »Niggeraufhängen« in Alabama die radikalste. Aber dazwischen lauern die Grautöne. Die von den meisten gar nicht wahrgenommen werden. Deshalb diese munter vorgetragene Selbstzufriedenheit: »Ich? Rassist? Was für ein Blödsinn!«
    Reisen ist ein äußerst effizientes Mittel, um einen Blick zu riskieren. In seine schöne Seele und – wenn der Reisende nur genügend Nerven mitbringt – auf die Schatten über ihr, die immer wieder aufziehen. »Gehen Sie in sich, wenn Ihnen nicht graust.« Der Satz stammt von Gottfried Benn. Ein rabiater Imperativ, aber er könnte helfen beim Entdecken, beim »Heben« längst verdrängter Gefühle. Eben kalter Gefühle, hochmütiger, nicht sehr menschenfreundlicher.
    Doch die Diagnose muss in keinem Desaster enden. Selbst wenn sich einer bei Gedanken erwischt, die er – mitten auf der Welt, weit weg von seiner glorreichen Heimat – lieber verschweigt: Sein Verstand kann sich ja entwickeln, sein Bewusstsein wachsen. Vom Kleinhirn eines Stammtischbruders zum Denken eines Kosmopoliten.
    Die Vereinigten Staaten waren, zumindest quantitativ, die größten Sklavenschinder in der Geschichte der Menschheit. Und irgendwann führten sie einen Bürgerkrieg, weil ein Teil der Bevölkerung erkannt hatte, dass kein menschliches Wesen je auf die Welt kam, um als Beutestück einem anderen zu dienen. Und 1948, knapp hundert Jahre später, wurde von den Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ratifiziert. Mit dem wunderschönen ersten Satz: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Es dauerte ein bisschen, ein paar Millionen Jahre, bis er auf der Welt war. Der Satz da. Er ist gewaltig anstrengend. Und alle – der Hockenbleiber und, in viel provozierender Weise, der Reisende – können jeden Tag nachprüfen, wie sie es damit halten. Mit der Freiheit und der Würde und den Rechten eines anderen. Auch mit denen eines ganz und gar anderen.
    Reisen verblödet. Das ist so wahr wie das Gegenteil. Weil so mancher darauf besteht, nur das zu sehen, was er bereits weiß. Zu wissen glaubt. Er umrundet zehn Mal den Globus und landet immer wieder als derselbe Ignorant, als der er vor Urzeiten an Bord gegangen war. Das ist wie mit einem Kind, das zur Schule geht. Passt es nicht auf, wird es nichts lernen. Nie. Nicht anders der Erwachsene, der die Welt besucht. Er muss es achtsam tun, erpicht, er muss hungern und dürsten nach Wissen und Weisheit, nach allem, was herzugeben sie bereit ist. Hinschauen reicht nicht. Wie das (wache) Kind muss er fragen, fragen, fragen. Tut er das hartnäckig genug, wird er begreifen, dass wir – er und die vielen anderen – uns ziemlich ähneln. Und: dass wir uns gleichzeitig gewaltig voneinander unterscheiden. Das macht den Reichtum der Welt aus.
    Es sind oft die lautlosesten Nebengedanken, die einen auf die Spur führen, auf das eigene, einspurige Wahrnehmen der Wirklichkeit. Hier ein so simples Beispiel: Ich recherchierte über »les gens de voyage«, die Zigeuner in Frankreich. Ein Riesenthema im Lande, angeheizt von Ex-Präsident Sarkozy,

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