Gebrauchsanweisung für die Welt
jahrelangen (verbalen) Verfolgungsjagd war eine Szene, die an der mauretanisch-malischen Grenze spielte, ich schrieb: »… auf einer zerschlissenen Chaiselongue lungern dösig drei Grenzer. (…) Es dauert, bis sie sich aufraffen. Man sieht ihnen den Kampf an: zwischen der Schwerkraft ihrer Trägheit und der Lust abzuzocken. Letztere obsiegt. Ächzend lümmeln sie sich hoch …«
Solche Sätze, so der Verfolger, waren »menschenverachtend«, kein Schwarzer lümmelt, kein Schwarzer ist träge, kein schwarzer Zöllner ist korrupt. Undenkbar, es konnte sich bei diesem Autor nur um einen rassistischen Wicht handeln. Dass ich in dem Text mehrmals von Weißen erzählte, denen man nachts lieber nicht allein auf der Straße begegnet, spielte keine Rolle. Die weiße Schlechtigkeit verstand sich von selbst, aber schwarze Abzocker, lümmelnd? Nein, das konnte nicht sein. So ging es Buch um Buch. Einen Höhepunkt erreichten wir, der Kritiker und ich, als ich irgendwann von einem »schwarzen Rassismus« sprach, ja erwähnte, dass sich so mancher Afrikaner die Freiheit nimmt, jemandem, der noch schwärzer ist als er, mit »Respektlosigkeit« zu begegnen (um es milde zu formulieren). Eine solche Behauptung schien der Gipfel der Niedertracht. Nicht die Respektlosigkeit, nein, ich, der darüber schrieb.
Über die Jahre wurde mir bewusst, dass Gutmenschen besonders unter meinen Büchern leiden. »Dümmster Reiseschriftsteller aller Zeiten«, nannte mich einer zornbebend in seiner Kritik. Auch er wollte nicht fassen, dass ich – diesmal in einem Buch über Südamerika – bisweilen von Männern und Frauen berichtete, die mir weder durch ihre Freundlichkeit noch durch ihren Intelligenzquotienten aufgefallen waren. Man staune, auch dort gibt es solche Exemplare. Hat hier also der »dümmste Leser aller Zeiten« sein Herz ausgeschüttet? Also, so weit würde ich nicht gehen. Aber dass auch Lesen nicht vor Geistesschwäche schützt, so weit gehe ich.
Natürlich: Viele, die auf schwierigen Pfaden unterwegs sind, auf Territorien, wo nicht alle zweihundert Meter ein Luxusbunker steht, werden sich bisweilen die Hasskappe überziehen. Nicht, weil sie hassen und verachten wollen, nein, es passiert, weil die Anwürfe zu zahlreich kommen, die Drangsal zu vehement ist, der Gestank, die Hitze, der Fatalismus nicht mehr zu ertragen sind. Weil sich die Wirklichkeit im Augenblick nur als eine herzzerreißende Gemeinheit präsentiert. Dann will man stehen bleiben und in den Himmel schreien. Vor Wut, vor Verdrossenheit.
Das ist kein Drama, eher menschlich. Wichtig nur, dass sich die Feindschaft wieder legt. Dass aus dem Zorn kein Grundgefühl wird. Dass der Swing zurückkommt, die Freude, der Versuch, sich ein weiteres Mal mit der Welt zu versöhnen.
Ein Werbespruch der Deutschen Bank lautete vor Jahren: »Reisen bildet, zum Beispiel Kapital«. So sind sie, sie können nicht anders. Noch auf dem Sterbebett werden sie das Wort money stöhnen. Als ihr letzter Furz an die Nachkommen. Nehmen wir lieber einen Dichter, nehmen wir Lord Byron. Dem Engländer fiel etwas anderes zum Reisen ein, als Geldscheine zu stapeln. Er sprach von einer »sehnsuchtsvollen Leere«, die uns in die Welt treibt. Um diese Leere mit »zügellosen, heftigen Unternehmungen« zu stillen. Denn »das große Ziel des Lebens ist das Empfinden, dass wir existieren«.
Ich höre diese wilden Sätze gern. Auch wenn das Pathos aus dem vorletzten Jahrhundert stammt. Auch weil sie frei aller Moral sind. Auch weil sie nicht trösten, sondern an Jetzt erinnern. Moralfibeln sind schauerlich. Ich wäre schwer betrübt, wenn dieses Kapitel als solches verstanden würde. Zum Teufel, nein. Es soll nur daran erinnern, dass dieser eine Satz – »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren« – sondergleichen unser Leben bereichert. Das eines Reisenden allemal. Klar, man muss die elf Wörter spüren, sie als wahr begreifen, ohne jedes Wenn und Aber. Wer das nicht kann, nicht fühlen kann jenseits aller rationalen Begründung, der wird sie als Wirklichkeit nicht erkennen.
»Es gibt drei Wahrheiten«, sagen sie in Afrika, »meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit.« Das ist ein cooler Satz.
Eros
Eines der vielen vergnügungsreichen Phänomene beim Kennenlernen einer Frau (eines Mannes) ist wohl die Tatsache, dass keiner von beiden behaupten kann, den anderen zu kennen. Das Neue, ganz unbelastet von Vergangenheit, hat einen unheimlichen Reiz. Jeder, der allein
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