Gebrauchsanweisung für die Welt
heruntergerissenes Hemd in Händen halten, es zu einem nassschweren Lappen rollen und mit schwungvoller Wucht auf die – jetzt nackten – Männerbuckel ausholen. Jeder Rücken ist recht, jeder verdient Buße. Man hört die keuchende Lust der Rächerinnen, es einmal im Jahr den Besserwissern und Rechthabern heimzuzahlen, jenen patriarchalischen Männchen, die sich an den anderen 364 Tagen als Herren der Schöpfung aufspielen. Wiedergutmachung für alle geschluckten Frechheiten. Dennoch beruhigend, dass im heillosen Getöse der Trompeten und der dramatisch simulierten Schmerzensschreie der Männer auch das Gelächter der Frauen unüberhörbar bleibt. Holi ist kein Tag schriller Vergeltung, es ist ein Fest der Verzückung.
Am Ende, nach einem letzten tosenden Kübeltanz, sehen alle aus wie Ferkel, frisch dem Koben entlaufen. Die Männer wie halbnackte Ferkel, die Frauen wie Ferkel in Saris. Wunderbar wahrliches Bild von Himmel und Erde, von Mythos und Wirklichkeit: Oben auf der Balustrade sitzen goldverziert der schöne (kleine) Krishna und die schöne (kleine) Radha. Wenn er nicht flötet, tändeln sie mit den Fingerspitzen. Jede Weile atmet Liebe. Und vier Meter weiter unten liegt die Erde, hier stehen die Menschlein, stehen wir, jetzt still, dreckverspeckt, außer Atem und rettungslos fasziniert vom Anblick der beiden, von ihrer Schönheit, ihrer Reinheit, ja der Ewigkeit, die sie versprechen. Ich schließe die Augen. Damit mir dieses Bild aus einer anderen Welt nicht entgeht. Dieses Bild aus Indien.
Reisen und Schreiben
Schreiben ist der schönste Beruf der Welt. Ob der Satz stimmt, interessiert mich nicht. Nicht wirklich. Ich empfinde es so. Wenn ich die Mails bedenke, die bei mir eintreffen (mit der Bitte, den angehängten Text an Verleger weiterzuleiten), dann könnte man glauben, dass die Hälfte aller deutschen Schubladen vor Manuskripten überquillt. Unglaublich viele wollen etwas sagen. Schriftlich, schwarz auf weiß.
Schreiben übers Reisen ist allerdings noch schöner. Denn da muss man nicht wie ein Romancier fünf Jahre am selben Ort herumsitzen, nein, man darf vorher, vor dem Hinsetzen, sogar noch die Welt besichtigen. Jetzt sind wir beim Traumberuf. Sagen alle. Und ich sage nicht Nein.
Seltsamerweise hat die Reiseliteratur einen schlechten Ruf. Oft zu Recht. Man fasst nicht, mit wie viel drögen Wörtern manches der einschlägigen Bücher vollgemacht wird. Pipi-Popo-Nachrichten ziehen sich über Seiten, abgestandener Small Talk mit Taxifahrern soll Authentizität vortäuschen, Detailhuber deprimieren mit ganz und gar überflüssigen Details.
Man darf bündelweise weiterblättern, ohne einen Gedanken zu versäumen, von dem man nicht vorher schon gehört hätte. So raubt uns so mancher Autor gleich zwei Dinge: das schöne Geld und unsere – unaufholbare – Lebenszeit.
Andere wissen etwas, aber servieren ihr Wissen wie einen liegengebliebenen McDonald’s-Fladen: ohne Sauce (Gefühl), ohne Beilagen (Sprachwitz), ohne Gewürze (Provokation). Interessante Fakten kommen als schriftliches Geleier daher. Nie falsch, nie dumm, aber vom schlimmsten aller Makel geschlagen: von (stilistischer) Langeweile.
Grundsätzlich ist die Vermutung richtig, dass einer, der sich auf eine Reise begibt, die Welt intensiver spürt als einer, der, sagen wir, in Köln-Ehrenfeld eine Autowaschanlage betreibt. Dass ihm ein Leben widerfährt, von dem andere nichts wissen. Und er, der Reisende, deshalb den Wunsch verspürt, darüber zu berichten. Legitimer kann ein Motiv nicht sein. Deshalb entstehen Reportagen, Bücher, Filme, etc. Fast immer aus dem Bedürfnis heraus, dass einer, der »weiß« (na ja, ein bisschen weiß), anderen, die das wissen wollen, davon Nachricht gibt. To tell a story : So erzählt er die Geschichte seiner Reise.
Das hundsgemeine Problem dabei: Man muss es können. Der Wille reicht nicht, reicht nie, denn Kunst kommt nicht von wollen, sonst hieße es ja Wulst, sie kommt von müssen : Doch wenn einer muss (schreiben!), dann muss er es können. Dieses Talent ist kein Verdienst, es ist ein Geschenk. Von wem auch immer.
Warum sich so viele in etwas – das Schreiben! – verlieben, das diese Liebe nicht erwidert, bleibt ein Rätsel. Solches Tun erinnert an einen Mann, der sich in eine Superschöne, Superkluge verknallt und hartnäckig nicht wahrhaben will, dass sie nicht interessiert ist. Nie ein Auge auf ihn wirft, nie ihn lockt, nicht das Geringste unternimmt, um ihm nahe zu sein. Ein
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