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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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erfinden, muss sich Gefühle, Antworten und Wirklichkeiten ausdenken, aber sie, die Weltreisenden, müssen nur hinschauen und hinhören. Und das Gehörte, das Geschaute in Sprache übersetzen. Indem sie noch einmal – diesmal im Kopf – an die Tatorte zurückkehren.
    Jeder weiß es: Talent kann keiner lernen. He’s got it or he ain’t. Aber er (sie) kann es, wenn es denn da ist, »züchten«. Jetzt muss das Besessene ins Spiel kommen, wenn jemand gut werden will. Wirklich gut. Veranlagung allein genügt nicht, hat noch nie genügt. Abermillionen rennen mit einer Begabung durchs Leben, ohne bereit zu sein, sie zu »plündern«, nach ihr zu bohren, nach ihr zu schürfen. Um die Goldkörner zu finden, die sie – die Begabten, die Unermüdlichen – dann als (sprachliche) Perlen dem Leser schenken. Wie formulierte es Charlie Chaplin auf die Frage nach seinem Erfolg? »Ten percent inspiration, ninety percent perspiration.«
    Ach, der Scheinheilige, als ob zehn Prozent Eingebung genug für sein Genie gewesen wären. Die ungeschminkte Wahrheit über ihn hätte lauten müssen: »Hundert Prozent Begabung und hundert Prozent Schinderei.«
    Nun, keiner von uns kann etwas dafür, dass er von den Göttern nicht so großzügig gesegnet wurde wie Charlie. Aber der Mann sollte jedem Autor Vorbild und Peitsche sein. Damit er nicht anfängt zu schludern. Und der Leser nicht aufhört, mit Vorfreude nach seinem Buch zu greifen. Weil er spürt, dass der Autor all das Seine – elegant verpackt – hineingelegt hat. Seine Einsichten, seine Kämpfe, seine Zweifel, ja viele Tage und Nächte seines Lebens.
    So seien noch einige Hinweise erlaubt für jene, die von diesem Beruf träumen und – unabdingbar – die Kraft und die Ausstrahlung dafür haben. Zuerst, grundsätzlich: Nicht überstürzen! Die Statistik beweist, dass ein Schriftsteller umso schneller ausbrennt, je früher er anfing. Muss ein Musiker mit sechs am Klavier sitzen, so kann ein Schreiber vierzig Jahre später mit seinem ersten Text beginnen. Ich habe mich oft gefragt, was 25-Jährige – nach bravem Elternhaus und braver Journalistenschule bei der, sagen wir, superbraven Oldenburger Sonntagszeitung gelandet – den Oldenburgern erzählen könnten. Nichts, o. k., fast nichts. Außer brav verfassten Spielberichten über den Kreisligisten VfB Uplengen. Weil die Frischlinge kein ruppiges Leben hinter sich haben, keine Narben, keine Desaster und keine Abstürze, also nichts wissen von der Welt. Und nichts von ihren Bewohnern. Ausnahmen gibt es, klar, aber das sind die Ausnahmen.
    So wäre die erste konkrete Regel für jemanden, der die nächste »Gebrauchsanweisung für die Welt« schreiben will: Haus und Hof verlassen und das Weite suchen. Und umgehend nach jenen Ausschau halten, die von den Geheimnissen und Heimlichkeiten, von den Tiefen und Untiefen der menschlichen Seele wissen. Denn nach dieser Nähe kann man sich nicht früh genug auf den Weg machen.
    Zweite Regel: sich die Elefantenhaut abziehen, sprich, verwundbarer werden, durchlässiger, ungeschützter. Die Sinne trainieren, die fünf, die sechs, die sieben. Auf Geräusche achten, leiseste Töne wahrnehmen, Pausen hören, geringste Unterschiede bemerken, Körperhaltungen dechiffrieren, Gesichter scannen, Fazit: wie ein Oktopussy durch ein Land reisen und dabei alles mitnehmen, was man in sein Herz und sein Hirn herunterladen kann.
    Lobenswerte Schreiber kommen mit einem Bergwerk voller Eindrücke nach Hause. Um daraus eine schlanke, formschöne Statue zu verfertigen, sprich, neunzig Prozent ihrer »Mitbringsel« packen sie nicht aus, will sagen, publizieren sie nicht. Weil sie nicht mitteilenswert sind, weil sie das Publikum nicht interessieren, weil sie, auch das kommt vor, einfach nicht in die Geschichte passen.
    Deshalb können Romanschriftsteller keine Reportagen schreiben. Weil sie nicht auf den Punkt kommen. Reportieren – von reportare , wörtlich: zurücktragen – ist wie ein Wildpferd zureiten. Wer die Zügel schleifen lässt, schießt über das Ziel hinaus.
    Und das Ziel heißt – tausend Mal nein zu dem esoterischen Tinnef »Der Weg ist das Ziel« –, heißt immer: die perfekte Statue, das Schmuckstück, im vorliegenden Fall das Buch, das sich – würde man es laut lesen – wie eine gelungene Komposition anhört, anhören muss. Und den Leser von einem Gefühl ins andere reißt. Von piano über mezzoforte bis fortissimo . Und ganz nebenbei noch seinen Geist bedient. Seit Horaz

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