Gebrauchsanweisung für die Welt
eine Horde heimatloser Barbaren durch die Arena Isabel , wurden von knapp Tausend frenetisch bejubelt: fürs Haareraufen, fürs Nasenplätten, fürs Ohrenzerren, fürs Fingerreißen, für Halsquetschen, für Hechtsprünge vom Ringpfosten – mit dem Kopf voraus – mitten in die Magengrube des Widersachers, für Saltos – mit den Füßen voraus – in die gegnerische Visage, fürs Einklemmen – grausam lang – des lästigen Schiedsrichters in den Schwitzkasten, fürs – aufeinander – Stühlezertrümmern, fürs gegenseitige – eimerweise – Überschütten von Spülwasser, fürs – gemeinsam – In-die-Zuschauerreihen-Krachen und zuletzt fürs – den johlenden Fans – Stinkefinger-Zeigen. Für alles das.
Die Besten der Barbaren hatten das, was sie hier einen »hombre con angel« nennen, einen Mann mit Charisma. Das ist einer, der funkelt, der die Massen verführt, sie anbrüllt, sie erniedrigt, sie besänftigt und – das Entscheidende – sie in einen Zustand hochgradiger Erregung peitscht.
Nach dem tobenden Finale, in dem jeder jedem Rache schwor, gingen »El guerrero de las galaxias«, sein Amigo »Super Máquina« und ich essen. Ins Los Faroleros auf der anderen Straßenseite: »Die Angeber« hieß die Spelunke und einen besseren Namen hätte es nicht geben können. Riesige Hühnerkeulen mit Pommes frites und die erste Kiste Bier wurden schon auf dem Weg zum Tisch bestellt. Die beiden delirierten noch im Adrenalinrausch der letzten Stunden. Für umgerechnet 45 Euro hatten sie sich ihre Leiber demolieren lassen. Wie glorreiche Halbstarke deuteten sie auf ihre Wundmale, manche noch blutverkrustet: die Kratzspuren, die Stirnbeulen, die ramponierten Knie, die Narben, die fehlenden Zähne, ihre mit blauen und blaugrünen Flecken geschmückte Haut. Und der Schweiß, der noch aus ihren Körpern dampfte.
Die zwei redeten sich ins Paradies: ihre wegen Überfüllung gesperrten Konten. Das Jetten von Metropole zu Metropole. Die Dinners in Nobelrestaurants. Der gerade unterzeichnete Vertrag für eine Japantournee. Wunderbar sprudelnde Maulhelden, die auch nicht mehr wussten, wohin mit dem vielfach verfügbaren und überall lauernden Mädchenfleisch. Letzte, echte Männer, die nun ihre Stiernacken und Schultern freilegten, um auf die Andenken ihrer muskelsüchtigen, leidenschaftlich beißenden Verehrerinnen zu deuten. Damen, die sich – habe ich alles richtig verstanden – an jeder Ecke querlegten, um sofort und ausdauernd von schneidiger Manneskraft betäubt zu werden.
Um 1.30 Uhr – drei Stunden, fünf Hähnchen, zwei Kilo Pommes und insgesamt 37 (siebenunddreißig) Bierflaschen später – brachen wir auf. Ein Taxi kam, auf meine schmalen Schultern gestützt torkelten die Titanen hinaus. Ich war so frei, für die zwei »campeones panamericanos« (in Mexiko kann man vieles kaufen, auch Titel) die Zeche zu zahlen. Wie so oft waren sie pleite. Wir fuhren zum Busbahnhof, ich besorgte die Tickets, eines für die Supermaschine nach Guadalajara, zwei – für den Krieger der Galaxien und mich – zurück in die Hauptstadt.
Das war ein guter Abend. Ich hatte so vieles verstanden, auch ihre Räuberpistolen, ihre Lust auf Schönsein, ihre Bereitschaft zum schweißjagenden Bodybuilding, ihren Wahn nach Machosprüchen und Siegerpose. Irgendwann hatte ich die beiden – im Brotberuf lausig bezahlte Beamte – gefragt, warum sie das alles aushalten: die Prügel, die verbeulten Gesichter, das bisschen Geld, die geschundenen Knochen, die miserable medizinische Versorgung. Und der Sternenkrieger, dieser Bierkastensäufer und Unverwüstliche, hatte geantwortet: „¿Por qué? ¡Porque hay un deseo en mi, un deseo de ser alguien!« Warum? Weil es da eine Sehnsucht in mir gibt, eine Sehnsucht, jemand zu sein! Das war ein wunderschöner Satz, wohl der bestimmendste im Leben dieses 28-Jährigen. Ganz tief klang er, ganz wahr und wirklich.
Wie nah ich mich den beiden fühlte, ihrer Sehnsucht nach Glanz im Leben, nach »angel«, nach Wert und Begehrtsein. Seit dem Anfang der Welt ist es da, dieses Sehnen. Und hat seither nicht aufgehört, uns, jeden von uns, zu befeuern: jemand zu sein, jemand, der leuchtet im Meer einer alles auslöschenden Anonymität.
Lange Fahrt. Salvador, so der bürgerliche Name des Kriegers, schlief. Zutraulich an meine linke Seite gelehnt. Als der Bus im Morgengrauen die Ausläufer des Zwanzig-Millionen-Molochs erreichte, strahlten die ersten roten Strahlen über die Baracken
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