Gebrauchsanweisung fuer Indien
nach alter Tradition. Gurus und Schüler leben zusammen. Diese Lehrstätte vereint zudem die wichtigsten Gharanas (Schulen) an einem Ort. Die klassische indische Musik wird meist innerhalb einer Familie von tradierten Gharanas weitergereicht. Es gibt keinen festgelegten Lehrplan, keine vorbestimmten Kurse, jeder Lehrer ist in seinen Entscheidungen unabhängig, bestimmt die Häufigkeit und die Art des Unterrichts selbst. Eine Schule ohne Stundenpläne, ohne feste Termine.
Es hängt von dem Studenten ab, wie sehr er von dem Guru profitieren kann, erklärte mir Amit Mukherjee. Je näher er dem Guru steht, geistig und emotional, desto reicher wird er von ihm beschenkt. Es gilt: Ein Schüler, der die Treue verletzt, verliert die Musik. Die Schüler werden zweimal jährlich bewertet. Unterricht, Unterkunft und Essen sind kostenlos. Das Studium dauert, ebenfalls traditionell vorgegeben, zwölf Jahre, aber auch dies hängt von dem Ermessen der einzelnen Gurus ab.
Auf dem Land – dem Land der fahrenden Sänger und reisenden Spielgruppen – erklingt ein weniger anspruchsvolles Aum. Dazu bedarf es nur eines Kupfertopfes, einiger Eisenringe und eines Mannes, der in der Tradition der Manbhatt geschult ist. Eine Tradition, die sich nur in Gujarat und auch dort nur in einigen wenigen Familien gehalten hat. Vor hundert Jahren gab es eine Vielzahl von Manbhatts, wandernde Geschichtenerzähler und Sänger, die nicht nur altbekannte Legenden aus der Mahabharata und der Ramayana ausschmückten, sondern auch eigene Geschichten erzählten, durchsetzt mit derbem Humor, in einer eigentümlichen Mischung aus klassischer Form und volksnahem Inhalt.
Wie jedesmal, ehe er spielt, setzt Dharmiklal C. Pandya einen rosaroten Turban auf. Er wirkt gleich zehn Jahre jünger. Seine Augen sind tief wie Brunnen, sein Gesicht wird dominiert von einer breiten Nase, bis er zu seinem Gesang anhebt und der Mund sich in den Mittelpunkt schiebt. Er sitzt hinter einem gewaltigen kupfernen Topf – früher wurden Tontöpfe verwendet, von der Art, wie sie bis zum heutigen Tag zum Aufbewahren und Kühlen von Wasser genutzt werden. Solche Töpfe gehörten zu den frühesten Instrumenten der Menschheit. Er wird auf der Tabla begleitet von einem seiner Söhne und auf dem Harmonium von einem zweiten Sohn. Das Lied, das er singt, ist ein Bhajan zu Ehren Gottes, eine einfache Melodie und in einem Rhythmus, der sich von Eifer in Übereifer steigert, bis seine Finger wie irre auf dem Topf tanzen. Seine Stimme hat jene Qualität, die ältere Sänger manchmal auszeichnet, es hört sich an, als schwinge eine zweite tiefere Stimme voller Lebenserfahrung mit.
Der Kupfertopf ist leer, erklärt er mir später, abgesehen von einem Geldstück, einem Segensbringer. Die Dicke des Topfes bestimmt den Klang, wenn er mit den eisernen Ringen auf dem Kupfer trommelt. Daher wird der Topf auf Bestellung angefertigt. Dharmiklal C. Pandya spielt fast alles – neben Bhajans natürlich auch Ragas. Hundert Ragas kennt er auswendig, lehrt er seinen sieben Schülern. Aber er begnügt sich nicht mit den althergebrachten Kompositionen, er spielt Variationen auf der Basis eines bestimmten Ragas, und er hat sich auch an eigenen Kompositionen versucht. Er singt überall, zu allen Anlässen, in den kalten Auditorien von Kulturzentren, in Pandals (den vorübergehenden Tempeln anläßlich großer Feste), am Ufer von Flüssen, bei Satsangs (religiösen Vorträgen), bei Wohltätigkeitsveranstaltungen des Rotary Club, in Schulen. Manchmal gibt er drei Konzerte am Tag, je zwei bis drei Stunden lang. Vor fünfzigtausend Menschen hat er schon gesungen. Gelegentlich tritt er sogar außerhalb Gujarats auf; das Publikum ist jedoch stets Gujarati. Aber er macht sich Sorgen um die Zukunft dieser Volkskunst, obwohl er neben seinen zwei Söhnen auch sieben Schüler durch die fünfjährige Ausbildung führt. Er gehört zu den letzten Meistern in Gujarat, und als ich in den Monaten und Jahren nach meinem Besuch bei ihm in Baroda, wann immer ich in Bombay und anderswo Gujaratis begegnete, von diesem Künstler schwärmte, stieß ich auf Unkenntnis. Er gab mir einige Musikkassetten mit – eine CD ist nie produziert worden.
Das Telefon klingelt. Er entschuldigt sich, um das Gespräch anzunehmen. Ich höre über den eingeschalteten Lautsprecher, wie ein Mann singt, wie der Manbhatt singend etwas erwidert, so als korrigiere er den Gesang des Anrufenden.
»Wenn ich eine berühmte Geschichte vortrage«, sagt
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