Gebrochene Schwingen
gebebt hatte. Solche Erinnerungen wärmen das einsamste Herz, und die traurigsten Augen glänzen mit einemmal vor Freude und Seligkeit. Sie sind wie das Obst – Äpfel, Pfirsiche, Pflaumen –, das immer wieder jedes Jahr auf den Bäumen blüht. Ganz gleich, wie alt die Bäume sind, immer gibt es Obst, frisch und wunderbar.
Gute und glückliche Erinnerungen, besonders Erinnerungen, die einem die bewegenden Augenblicke des Lebens bewußter machten, waren die Früchte, die man trotz der Mühsal des Lebens ernten konnte.
Wie war es mit Logan und mir, als wir beide jung und in den Willies waren? Ich konnte die Bilder aus der Schatztruhe meiner Erinnerungen hervorziehen, und so erschien noch einmal Logan vor meinem inneren Auge, wie er aussah, als ich ihn das erste Mal in der Schule sah. Er wirkte so auffallend wie ein Schüler eines vornehmen Internats, in seinen grauen Flanellhosen mit den scharfen Bügelfalten und seinem hellgrünen Pullover, den er über einem weißen Hemd und einem grau und grün gestreiften Schlips trug. Niemand war jemals so angezogen in unsere Schule gekommen wie Logan Stonewall.
Ich höre noch, wie mein Bruder Tom uns einander vorstellte.
»Und das ist meine Schwester, Heaven Leigh.« Toms Stimme war voller Stolz.
»Was für ein hübscher Name«, sagte Logan. »Er paßt sehr gut zu dir. Ich glaube, ich habe niemals vorher Augen gesehen, die so himmelblau sind.«
Noch während er dies feststellte, versanken unsere Augen ineinander, und eine Saite in unseren Herzen wurde angerührt, die auch für den Rest unseres Lebens nicht mehr verklingen würde.
Logan Stonewall, mein schöner erster Freund und mein Freund für immer und ewig, der auf eine Art, wie man sie in Zeitschriften und Büchern finden kann, gut aussah; eben wie jemand aus einer guten und gebildeten Familie, die ihm eine Eigenschaft verlieh, die keiner von uns aus den Bergen hatte –
Vornehmheit.
Wie in einen beschützenden Umhang hüllte ich mich in die Erinnerungen an diese frühe Zeit ein, um alle Aufregungen und die Versuchungen, die an meine Tür klopften, von mir fernzuhalten. Eine ganze Weile lang gelang mir das auch.
Curtis servierte mir das Dinner, und ich aß fast alles auf.
Danach sah Tony nach mir, wie er es versprochen hatte.
Zufrieden darüber, daß ich nur eine leichte Erkältung auskurierte, verließ er mich etwas später und teilte mir noch mit, daß er früh am nächsten Morgen ein Flugzeug nach Winnerow nehmen würde. »Ich sehe dich nicht mehr, bevor ich gehe, aber ich rufe im Laufe des Tages an«, sagte er, »um zu erfahren, ob es dir auch wirklich wieder gut geht.«
Bevor er mir endgültig gute Nacht wünschte, blieb er noch ein wenig unschlüssig stehen, als ob er noch mehr sagen oder fragen wollte, aber zwischen uns stand eine Mauer des Schweigens, die nicht zu überwinden war. Wahrscheinlich spürte er das.
»Gute Nacht«, sagte er.
Ich schloß die Tür hinter ihm und zog mich wieder in meine eigene Gedankenwelt zurück, um in glücklicheren Erinnerungen Erleichterung für mein Leid zu finden.
Aber diesmal betrog ich mich selbst. Anstatt mich an die wunderschönen Tage damals mit Logan zu erinnern, sah ich Troy vor mir, wie er am Tag meines Schulabschlusses in die Winterhaven-Schule kam. Ich war furchtbar enttäuscht gewesen, als ich erfuhr, daß Tony und Jillian an diesem Tag in London sein würden. Niemand würde Zeuge meines Erfolgs sein, eines Erfolgs, der damals, als ich noch in den Willies lebte, unvorstellbar schien.
Einzeln kamen die Schüler der Abschlußklasse herein und nahmen ihre Sitze ein. Ich ging als achte, und zunächst erblickte ich nur eine Menge mir unbekannter Gesichter. Dann sah ich Troy inmitten der anderen sitzen, der mich voller Stolz und Freude beobachtete. Ich empfand darüber so viel Glück wie selten zuvor, denn Troy war gekommen und hatte eine Anzahl von Angestellten der Tatterton-Spielzeugwerke und deren Angehörige gebeten, als meine Familie dort zu erscheinen.
»Hast du wirklich angenommen, daß ich nicht kommen würde?« hatte er mich geneckt, als wir in jener Nacht nach der Tanzveranstaltung in der Schule nach Hause fuhren. »Bis jetzt ist mir noch kein Mädchen begegnet, das so dringend wie du einer Familie bedurft hätte. Also wollte ich dich mit einer riesigen ausstatten.«
Wie hatte ich ihn damals drücken und küssen wollen. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt wurde mir das erste Mal bewußt, daß ich mich in ihn verliebt hatte, daß ich mich in einem Meer
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