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Gebrochene Schwingen

Gebrochene Schwingen

Titel: Gebrochene Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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hatte, ihn zu informieren.
    Dieses Mal ging ich sehr schnell durch das Labyrinth, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welchen Weg ich nehmen mußte. Wie immer um diese Tageszeit war die Fassade des kleinen Hauses in Sonnenlicht gebadet. Sein Bilderbuchaussehen wirkte so einladend, daß man seine Sorgen und Probleme vergessen konnte. Wieder einmal wirkte es wie eine Zuflucht vor der Realität, dieses Mal vor einer traurigen und tragischen Realität.
    Ich klopfte leise an die Tür, drehte an dem Türgriff und war überrascht, als ich merkte, daß sie verschlossen war. Ich klopfte lauter. Normalerweise verschloß Troy die Tür der Hütte nicht. Er machte sich keine Sorgen um Diebe, selbst dann nicht, wenn er für längere Zeit fortging. Da ich keine Schritte hörte, blickte ich durch ein Seitenfenster. Das Haus sah ruhig und leer aus. Ich sah kein Zeichen von ihm.
    »Troy«, rief ich. »Bist du da?«
    Schweigen war die einzige Antwort. Ich ging um die Hausecke und schaute durch das Küchenfenster. Ich konnte ihn nicht sehen, aber etwas anderes erregte meine Aufmerksamkeit. Gegen den Salzstreuer, der mitten auf dem Tisch stand, lehnte ein Umschlag, und ich konnte erkennen, daß Heaven auf ihm stand. Ich merkte auch, daß die Tür zum Keller offen war. Troy hatte wohl angenommen, daß ich durch den Tunnel in das Haus kommen würde. Ich versuchte, ob sich die Fenster öffnen ließen, aber sie waren verriegelt.
    Enttäuscht und nichts Gutes ahnend, was der Brief mir bringen würde, eilte ich durch das Labyrinth zum Herrenhaus zurück und durch die Küche zum Tunnel. Ich rannte ihn entlang und dann die Treppe hinauf in die Küche der Hütte.
    Außer Atem griff ich nach dem Umschlag.
    Mein Herz schlug so schnell, daß ich mich hinsetzen mußte, ehe ich den Umschlag aufreißen konnte. Dann zog ich die Blätter heraus und begann zu lesen:
    Du meine Liebe, meine große, verbotene Liebe!
    Ich kann es kaum glauben, was letzte Nacht geschehen ist, es scheint mir wie ein Traum. Ich habe es mir letztes Jahr so oft gewünscht, daß ich es mir nun, wo es Wirklichkeit wurde, noch immer nicht vorstellen kann.
    Lange Zeit habe ich einfach nur dagesessen und an die kostbaren Augenblicke mit Dir gedacht, an Deine warme Umarmung, an die Sanftmut Deiner Augen und Deiner Berührungen. Ich bin dann aufgestanden und habe in meinem Bett nach Strähnen von Deinem Haar gesucht. Zum Glück habe ich welche gefunden. Ich werde sie zu einer Locke binden und dicht an meinem Herzen tragen. Es gibt mir Trost, daß ich dann immer etwas von Dir bei mir tragen kann.
    Ich hatte eigentlich vorgehabt, länger hier zu bleiben und Dich von Zeit zu Zeit heimlich zu beobachten, obwohl ich wußte, daß es eine Qual werden würde. Aber es wäre auch schön gewesen, wenn ich Dir beim Spazierengehen hätte zuschauen können. Ich bin ein bißchen wie ein kleiner Schuljunge, ich weiß.
    Heute morgen, nicht lange nachdem Du gegangen warst, kam Tony zur Hütte mit der Nachricht, die Du mir gerade auch bringen willst, wie ich vermute. Aber wenn Du kommst, werde ich fort sein. Du denkst sicher, es ist grausam von mir, Tony zu dieser Zeit allein zu lassen. Aber ich habe ihn getröstet, so gut ich konnte, und wir haben die Zeit genutzt zum Reden.
    Ich habe ihm nichts von uns erzählt und davon, daß Du letzte Nacht bei mir warst. Ich konnte ihm das jetzt nicht antun.
    Vielleicht willst Du es ihm irgendwann später sagen. Ich überlasse das Dir.
    Du fragst Dich sicher, warum ich es für nötig hielt, so schnell nach Jillians Tod aufzubrechen.
    Meine liebste Heaven, es wird schwer für Dich sein, es zu verstehen, aber ich fühle mich irgendwie verantwortlich. In Wahrheit hat es mir Spaß gemacht, sie mit meinem Erscheinen zu erschrecken. Wie ich Dir sagte, hat sie mich einige Male gesehen, und ich weiß, daß es sie jedes Mal fürchterlich erschreckt hat. Ich hätte ihr erzählen können, daß ich nicht tot bin, daß ich kein Geist bin, aber ich ließ sie lieber in dem Glauben, daß sie ein Gespenst sieht. Ich wollte sie ihre Schuld sühnen lassen, obwohl es eigentlich nicht ihr Fehler war, daß Du die Tochter von Tony bist. Ich habe es ihr immer vorgeworfen, daß sie uns diese entsetzliche Wahrheit aufgedeckt hat. Sie war immer schon sehr eifersüchtig, neidisch auf die Zuneigung, die Tony mir entgegenbrachte, selbst als ich noch ein kleiner Junge war.
    Nun fühle ich mich schuldig. Ich hatte nicht das Recht, sie zu bestrafen. Ich hätte erkennen müssen, daß es für

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