Gebrochene Schwingen
um.
»Diese Klaviermusik«, sagte sie, »die hat Mr. Tatterton sich nicht eingebildet, und ich auch nicht, nicht wahr?« Lange Zeit schauten wir uns an.
»Nein, Martha«, sagte ich endlich. »Sie war echt.« Sie nickte und stieg ein. Ich sah sie davonfahren, dann ging ich hinein zu Logan.
In dieser Nacht erfuhr ich, daß ein Mann und eine Frau sich auch lieben können aus dem Verlangen heraus, sich zu trösten, und nicht aus sexueller Leidenschaft und Hingabe. Logan war schon im Bett, als ich hereinkam. Ich machte mich fertig und zog ein durchsichtiges Nachthemd an. Sobald ich ins Bett kroch, nahm er mich in die Arme und küßte mich. Ich legte mein Gesicht auf seine Brust und fing an zu weinen. Ich weinte zwar um Jillian, um Tom, um Troy, um all diejenigen, die ich geliebt und verloren hatte, aber ich glaube, am meisten weinte ich um mich selbst und auch um Logan.
Ich weinte um das kleine Mädchen in den Willies, mit den großen weiten, blauen Augen, das gezwungen wurde, viel zu schnell groß zu werden, das für seine jüngeren Geschwister die Mutter sein mußte, das dann hilflos ausgeliefert war, als selbst dieses armselige, harte Leben durch den entsetzlichen Verkauf seiner Geschwister an andere Familien auseinandergerissen wurde. Ich weinte um das unschuldige junge Mädchen, das das Opfer der krankhaften Eifersucht der Kitty Dennison wurde und dann von deren Ehemann Cal verführt und vergewaltigt wurde. Am allermeisten weinte ich um Troy, um die Liebe, die eigentlich die Liebe meines Lebens hätte sein sollen.
So wie vorher Troy küßte Logan meine Tränen fort, und ich merkte, wie ich ihn zurückküßte. Ich brauchte einfach Liebe.
Ich brauchte das Wissen, daß man sich um mich sorgte und kümmerte, das Gefühl, daß ich lebendig war. Jeder Kuß, jedes Streicheln bildete das Fundament der Festung meines Zutrauens in die Zukunft. Ich wollte keine Einsamkeit und Sorgen. Ich wollte das Ende der Tränen. Ich wollte etwas anderes spüren als Trauer, und ich wußte, durch den Liebesakt konnte ich das erreichen.
Dann konnte ich erleben, wie mein Körper lebendig wurde, konnte spüren, wie er erschauerte und Wellen vibrierender Elektrizität über den Rücken jagten, bis schließlich auch die letzte meiner Fingerspitzen sang. Ich wollte, daß Logan mich überall küßte, mich überall streichelte. Kein Teil meines Körpers sollte ausgelassen werden, es sollte meine vollständige Hingabe an unsere Ekstase, an unseren Liebesakt sein. Ich wußte, daß er von der Intensität meiner Küsse überrascht war, und auch davon, wie fest, wie wild ich mich an ihn klammerte.
Aber ich konnte mein verzweifeltes Verlangen nicht unter Kontrolle halten. Als es vorüber war, konnten wir erst nichts sagen, so intensiv war es gewesen.
»Heaven«, sagte er schließlich und legte eine Hand auf meine Schulter, »da ist doch etwas…«
»Schsch«, gab ich zur Antwort, »zerstör den Zauber nicht.«
Ich wollte mich nur noch umdrehen und dann ruhig und friedlich einschlafen. So geschah es. Ich hörte kaum noch, wie er gute Nacht sagte, da schlossen sich schon meine Augenlider, und ich fiel in die Dunkelheit.
Aber ich wußte, daß am nächsten Morgen alles von neuem anfangen würde.
Direkt nach Jillians Beerdigung ging mit Tony eine dramatische Veränderung vor sich. Plötzlich schien er gealtert, obwohl er doch eigentlich zwanzig Jahre jünger war als Jillian und noch nicht solche Altersanzeichen zeigen durfte. Sein Haar schien grauer geworden zu sein, seine Augen dunkler, die Falten auf seiner Stirn schienen tiefer, und er bewegte sich langsamer. Seine aristokratische Haltung war nicht mehr zu sehen.
Er zog sich auch nicht mehr so sorgfältig an. Früher war er ohne Anzug und Krawatte nicht aus seinem Zimmer gegangen.
Nun trug er ein Hemd mit offenem Kragen und eine Hose, die gebügelt werden müßte. Er kämmte und rasierte sich nicht.
Sein größtes Verlangen war nun immer wieder, alte Dokumente, Fotos und alle möglichen Erinnerungsstücke durchzusehen. Gleich nach dem Frühstück, das jetzt für ihn aus wenig mehr als Kaffee bestand, zog er sich in sein Büro zurück und verbrachte Stunden damit. Er mochte es nicht, wenn irgend etwas oder irgend jemand ihn unterbrach. Mit Logan und mir sprach er nur kurz angebunden.
Aus den Tatterton-Geschäften und aus seinen Büros kamen Anrufe, aber er kümmerte sich nicht darum. Logan tat, was er konnte. Aber er wußte nicht genug Bescheid, und er hatte seine eigenen Verantwortlichkeiten
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