Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
Handlungen den Zähler in einer bestimmten Zeit von 100 auf null zu stellen, egal wie. Ob durch bestimmte Bewegungen, Laute oder durch Nichtstun, egal was. Als Belohnung winkte jedem Gruppenmitglied Geld in einer sinnvollen Höhe, also so viel, dass die Gruppe animiert war, sich mit der Lösung des Problems zu beschäftigen.
Mit der Zeit entwickelte sich so eine genaue Abfolge von Bewegungsabläufen, abhängig davon, bei welchen ihrer Moves die Probanden feststellten, dass der Zähler besonders in Fahrt kam und immer niedrigere Zahlen anzeigte. Die Gruppenmitglieder entwickelten ein Bewegungsmuster, während sie eigentlich der Meinung waren, eines zu entdecken. Tatsächlich schafften sie es so, innerhalb der vorgegebenen Zeit von 100 auf null zu kommen. Der Clou an der Sache war: Im Nebenzimmer stand ein Aquarium mit einem Goldfisch, und jedes Mal, wenn der Fisch von einer Seite auf die andere schwamm, wurde eine Ziffer runter gezählt. Die komplizierte Choreografie der Menschen hatte damit gar nichts zu tun.
Unter Synchronisation versteht man, dass unser Gehirn Muster vervollständigt. Das kann es, das macht es, mehr hat es nicht im Portfolio. Das ist aber wesentlich besser, als es klingt, denn so macht es sich unsere Gedanken.
Wie geht das? Jeder Gedanke ist ein Muster im Gehirn. Gebildet wird das Muster von Neuronen. Neuronen sind die Bausteine unseres Gehirns, die Nervenzellen, die auf die Erregungsleitung spezialisiert sind. Es gibt viele verschiedene Arten von Neuronen, beispielsweise Spiegelneuronen, die wir im nächsten Kapitel kennenlernen werden. Um zu verstehen, wie ein Gedanke entsteht, brauchen wir aber nur zwei: hemmende und erregende Neuronen. Und dann lohnt sich ein Blick auf das Liebesleben der Glühwürmchen.
Es gibt nämlich auch zwei Arten von Glühwürmchen. Glühwürmchen können entweder nur leuchten oder nur blinken, um Weibchen anzulocken. In den Weiten des Amazonas und in Gebieten von Südostasien blinken die Glühwürmchen, während sie bei uns eher leuchten. Ein kurzer Lichtimpuls gefolgt von ein paar Sekunden der Dunkelheit lockt die Weibchen an. Am Amazonas hat es ein einziges männliches Glühwürmchen schwer, ein Weibchen anzulocken, zumal diese rund 50 bis 100 Meter über den Bäumen fliegen. Also versammeln sich die Männchen auf einem etwas höheren Baum. Damit haben es die Weibchen leichter, das schwache Licht zu sehen. Wenn Männchen bei Anbruch der Dämmerung eintreffen, ist ihr Aufleuchten noch ziemlich unkoordiniert, quasi Vorglühen. Mit zunehmender Dunkelheit bilden sich jedoch Inseln synchronen Blinkens heraus, die so lange wachsen, bis der gesamte Baum in einem faszinierenden Lichtspiel pulsiert.
Die Herausforderung für die Glühwürmchenmännchen besteht darin, dass sie nicht durcheinanderblinken dürfen. Die Weibchen reagieren nur auf ein regelmäßiges, artspezifisches Blinken. Und sie fühlen sich nur vom Kollektiv angezogen. Ein Glühwürmchen blinkt mit einer bestimmten Eigenfrequenz, und jede Art hat ein spezielles Blinkmuster. Die einen blinken zum Beispiel fünfmal hintereinander, um dann eine längere Ruhepause einzulegen, andere blinken in unterschiedlichen Farben.
Doch alle Glühwürmchen einer Art müssen gleichzeitig blinken, damit die Weibchen zu den Männchen fliegen. Zunächst glaubte die Forschung an eine optische Täuschung. Man konnte sich nicht vorstellen, wie Tausende und Abertausende Glühwürmchen es schaffen sollten, gleichzeitig zu blinken. Es wurde die Existenz eines sogenannten Chef-Glühwürmchens vermutet, welches den Rhythmus vorgibt. Sozusagen ein Elvis-Glühwürmchen, das den Takt einzählt, bevor das gesamte Ensemble einsetzt. Die Annahme stellte sich als falsch heraus. Denn was wäre gewesen, wenn ein Vogel das Chef-Glühwürmchen schnabuliert hätte? Hätte dann sein Stellvertreter nachrücken müssen? Und wie wäre der bestimmt worden, geheime Briefwahl? Eben.
Im Prinzip lässt sich dieses Problem aber trotzdem durch Demokratie lösen. Zwei Glühwürmchen entscheiden sich für eine Frequenz. Wenn ein neues hinzukommt, dann passt sich das eine an den Rhythmus der anderen beiden an und umgekehrt und so weiter. Und irgendwann blinken alle Glühwürmchen gleichzeitig und haben so die Chance, sich fortzupflanzen.Das Problem und die Lösung der Glühwürmchen lassen sich auf die Neurophysik übertragen. Es zeigte sich, dass die Funktion, die die Reaktion des Leuchtstoffes beschreibt, identisch ist mit den elektrochemischen Reaktionen,
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