Gedankenmörder (German Edition)
nach dir am Tatort und will auch während der Obduktion dabei sein. Ich glaube, deine Kollegin hat ihn bereits über alles informiert, was wir bislang wissen.»
Tewes räusperte sich.
«Was war eigentlich vorhin bei euch los? Kommst du mit der Petersen nicht klar?»
«Ach, da war nichts weiter», sagte Steenhoff. «Eine kleine Auseinandersetzung. Ist schon wieder vergessen.»
Tewes sah ihn skeptisch an.
«Lass es mich wissen, wenn du jetzt lieber alleine oder mit jemand anderem in deinem Büro sitzen möchtest. Wir können uns in dieser Situation keine Reibereien und Konflikte untereinander leisten.»
Steenhoff nickte. Er wusste, er hatte gelogen. Tatsächlich hatte er keine Ahnung, wie es mit ihm und Petersen weitergehen sollte. Doch das würde er allein mit ihr und ohne Tewes klären.
Als er an seinem Schreibtisch saß, wählte er als Erstes Iras Nummer. Sie war am frühen Morgen aus Bornholm zurückgekommen. Für den Abend hatte Ira Konzertkarten in der Glocke zurücklegen lassen. Er würde absagen müssen. Wider Erwarten nahm Ira die Ankündigung gelassen entgegen. «Dann werde ich eben Marie oder meine Freundin fragen, ob sie mich begleiten.»
Sie stockte einen Moment.
«Sag mal – steht euer neuer Fall in irgendeinem Zusammenhang mit den Leichenschändungen?»
«Ich fürchte ja», antwortete Steenhoff ausweichend. «Aber mehr kann ich dir zurzeit nicht sagen. Heute Abend wird es auf jeden Fall spät.» Nachdem er aufgelegt hatte, machte er sich ein paar Gedankenskizzen. Die neuen Kollegen müssten in den Fall eingewiesen und viele Aufgaben verteilt werden. Kleinere Gruppen hatte er schon häufiger geleitet, allerdings noch nie die gesamte Mordkommission. Aber vielleicht würde auch Tewes das Heft in die Hand nehmen wollen. Er ärgerte sich, dass sie nicht gleich darüber gesprochen hatten. Er entschied sich, Tewes sofort anzurufen.
«Ich wollte eigentlich dich bitten, die Besprechung zu leiten», sagte Tewes überrascht.
Einen Moment fühlte sich Steenhoff geschmeichelt. Zugleich merkte er, wie sich auch der Druck auf ihn erhöhte. Dennoch war er froh, dass er die Verantwortung tragen sollte. Zurzeit war ihm jede Last im Zusammenhang mit dem Fall recht. Dass die unbekannte junge Frau so grausam getötet worden war, ging auf sein Konto. Er hatte versagt, da konnten seine Kollegen noch so viel relativieren und schönreden. Mit diesem Gefühl würde er die nächsten Jahre leben müssen. Ihm war klar, dass er kein weiteres Opfer mehr ertragen konnte.
Die Pressekonferenz begann um 15 Uhr. Der Konferenzraum im Präsidium war brechend voll. Gleich vier Kamerateams rangelten um die besten Plätze. Zwei Rundfunkredakteure bauten ihre Mikrophone auf. Steenhoff erkannte Andrea Voss, einen langjährigen «Bild»-Redakteur und eine etwas gelangweilt dreinblickende Frau von der linksalternativen taz, die das Geschehen vermutlich nur mit einem kleinen Zweispalter abhandeln würde. Die taz, hatte er in all den Jahren gelernt, stürzte sich regelmäßig auf politische Skandale. Über Morde dagegen wurde kurz und knapp berichtet. Die meisten Journalisten, viele von ihnen noch sehr jung, hatte er noch nie zuvor gesehen.
Wie immer herrschte eine gelöste Stimmung. Die älteren Journalisten flachsten und übertrafen sich gegenseitig in frotzelnden Kommentaren über ihre aktuellen Geschichten. Doch sobald Lars Diepenau die Pressekonferenz eröffnete, wurde es still. Kameras und Mikros waren eingeschaltet, und die professionellen Nachrichtenübermittler wussten, was sie ihren Zuhörern und Zuschauern schuldig waren – konzentrierte, ernste Gesichter, vielsagendes Nicken.
Anfangs verlief alles in der gewohnten Routine einer Pressekonferenz. Lars Diepenau stellte Steenhoff, Tewes und den Staatsanwalt Degert vor. Dann übergab er das Wort zuerst an Tewes und schließlich an Degert, die beide in den Fall einführten. Bei Nachfragen sollte Steenhoff einspringen.
Während der Mann von der Presseagentur bereits eine Vorabmeldung über Notebook und Handy direkt aus der Konferenz eingab, sah Steenhoff, wie Andrea Voss ihren roten Stift mehrmals zückte. Aus der Vergangenheit wusste er, dass sie die Fakten stets mit einem Kuli auf ihrem Block notierte. Fragen dagegen schrieb sie sich in Rot auf. Sie gehörte zu den wenigen, die überhaupt nachfragten, dafür aber umso hartnäckiger.
Steenhoff hatte zuvor alle darauf eingeschworen, so wenig wie möglich zu sagen. Schließlich wollten sie eigentlich nur von den
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