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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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nicht.«
    Sie zerrte an seiner Jacke. Sein Körper war so unglaublich schwer, so als beanspruche die Erde ihn schon für sich, so als versuche sie, ihn nach unten, in sich hineinzuziehen.
    »Ich glaube, es wird ein Junge«, flüsterte sie ihm zu, »im Ernst.«
    Als sie ihre Hände von seiner Brust nahm, waren sie glitschig von seinem Blut. In der Nacht sah es pechschwarz aus. Da erst merkte sie, dass sie in einer Lache aus Blut kniete. Sein Leben war aus ihm herausgeflossen. Ein furchtbares Heulen, ein unfassbar schmerzvoller Schrei, der tief aus ihrer Seele kam, bahnte sich unaufhaltsam den Weg durch ihre Kehle.
    Sie stand auf und stolperte davon, zurück zum Haupthaus. Benommen, blind vor Wut torkelte sie zwischen den Bäumen hindurch. An das Kind in ihrem Leib dachte sie nicht mehr. Sie stieg die Verandatreppe hinauf und betrat das Haus.
    Es war leer. Die Frauen waren verschwunden. Wie lange war sie bei Dean gewesen? Emily sah sich um und hasste alles, weil es nicht mehr so wie früher war. Was für einen üblen Streich diese Insel ihr gespielt hatte; in ihrer Erinnerung hatte sie als strahlendes Symbol der Hoffnung überdauert. Und nun stellte die Insel sich als Lüge heraus, so wie alles, was ihre Mutter ihr über ihre Herkunft erzählt hatte. Emily hatte plötzlich das Gefühl, nie einen Vater gehabt zu haben. Nun war ihr nicht einmal mehr die Illusion von Joe Burke geblieben.
    Sie schluchzte. Sie stieß ein tiefes Stöhnen aus, Tränen strömten ihr über das dunkelrote Gesicht. In ihrer Wut riss sie alle Küchenschränke auf. In einer Schublade am Herd fand sie, wonach sie gesucht hatte: eine große Streichholzschachtel. Unter der Spüle stand eine Flasche mit Feuerzeugbenzin.
    Emily betrachtete die Plüschsofas, die geschmackvollen Gemälde an den Wänden, die professionellen Familienfotos, die bestickten Kissen und die Bildbände. Das schöne Leben wurde ihr unter die Nase gehalten und abrupt wieder weggerissen. Sie würde alles in Schutt und Asche legen.
    Chelsea hatte sich vor ein paar Tagen mit ihrer Mutter wegen eines Pullovers gestritten. Und sie hatte sich gefragt, welche Verbindung zwischen den einzelnen aufeinanderfolgenden Ereignissen bestand, aus denen sich das Leben zusammensetzte? Als sie und Lulu über die Schwelle der Hütte traten, fragte sie sich, wie die Dinge so aus dem Ruder hatten laufen können, wie sich das Böse unbemerkt einschleichen und alles verändern konnte. Sie versuchte, nicht ständig an ihre Mom zu denken, die im dunklen Regen verschwunden war. Auch an Birdie durfte sie nicht denken. Nur der Gedanke an den Revolver über dem Herd beruhigte sie ein wenig. Ihre Mom würde ihn finden und sie alle in Sicherheit bringen.
    Das Funkgerät stand auf einem Schreibtisch am hinteren Ende des Raumes. Chelsea zog die weinende Lulu hinter sich her, die ihre Hand nicht mehr loslassen wollte. Ihre Freundin hatte Angst. Obwohl sie sich über alle Maßen über Lulu ärgerte, musste Chelsea überrascht feststellen, dass sie die Freundin immer noch sehr gern hatte. Das war tröstlich.
    Sie hatte Wut immer für das Gegenteil von Liebe gehalten. Ihre Eltern hatten immerzu gestritten. Sie erinnerte sich an die furchtbaren Wortwechsel, die verzerrten Gesichter, obwohl sie bei der Scheidung noch sehr jung gewesen war. Streit entzweit, dachte sie. In letzter Zeit hatte sie die Erfahrung gemacht, dass Wut und Liebe ineinander verschlungen waren und zu etwas Lebendigem verschmolzen. Ihr Vater Sebastian war der beste Beweis dafür.
    Chelsea schaltete das Funkgerät ein, das surrend zu neuem Leben erwachte. Sie drückte die Sprechtaste, wie sie es im Unterricht gelernt hatte. Das Gerät funktionierte wie ein Bordfunkgerät und ähnelte dem in der Bootsschule.
    »Heart Island an die Blackbear Police«, sagte Chelsea, »wir sind in Not. Drei unbekannte Personen und ein gestrandetes Boot.«
    Als Antwort kam nur Rauschen. Chelsea wartete kurz und wiederholte den Funkspruch. Neugierig betrachtete sie die Kistenstapel, die nie benutzten Etagenbetten, den stillgelegten Kühlschrank. Der Raum war feucht und kalt, und auch die Betten mit den dünnen Matratzen sahen wenig einladend aus. Es rauschte immer noch.
    Lulu sank vor Chelsea zu Boden und legte den Kopf in ihren Schoß. Chelsea streichelte ihr übers Haar. Es war so weich, dass Chelsea sich gleich besser fühlte, auch wenn sie es Lulu noch vor einer Stunde am liebsten ausgerissen hätte. Chelsea drückte noch einmal auf die Sprechtaste.
    »Heart Island an

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