Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
Vom Netzwerk:
Verlobten beugte. Selbst in diesem Moment konnte sie den Kummer der Frau nachempfinden.
    Als sie Birdie anblickte, erkannte Kate, dass es ihrer Mutter genauso ging. Annes Schmerzgeheul schien nicht von dieser Welt zu sein. Kate musste die ganze Zeit an das Monster denken, auf dem Weg zur Hütte, wo Lulu und Chelsea waren. Die ganze Welt schien sich gegen Kate verschworen zu haben und ihr Fortkommen zu behindern. Die Strecke und die Zeit schienen sich zu ziehen wie Kaugummi. Seit sie vom Haupthaus losgelaufen waren, hatte Kate sich schon zweimal übergeben.
    Beim zweiten Mal hatte Birdie gesagt: »Ich gehe sie holen.« Birdie hielt den Revolver in der Hand.
    »Nein, wir bleiben zusammen«, sagte Kate. Außerdem wäre Birdie allein auch nicht schneller vorangekommen. Sie humpelte.
    Plötzlich bildete Kate sich ein, außer ihrem rasselnden Atem ein Motorboot zu hören. Sie betete, es möge wahr sein. Aber wahrscheinlich hatte der Regen ihr bloß einen Streich gespielt. Auf Heart Island konnte man ein Boot hören, lange bevor man es sah; vielleicht hatte der See ihre Schreie bis an Land getragen, oder der Hafenmeister hatte die Leuchtpatrone gesehen. Vielleicht hatte Chelsea Funkkontakt zur Polizei.
    »Riechst du auch den Rauch?« Birdie war stehen geblieben und hatte sich zum Haupthaus umgedreht.
    Ja, Kate roch es auch. Sie schaute zurück und meinte, ein Schimmern hinter den Bäumen zu erkennen. Aber dann wurde es wieder dunkel. Kate traute ihren Augen nicht mehr. In ihrem Kopf heulte eine Schmerzsirene, und ihr Blick war seltsam verschwommen. Sie hielt sich nur aufrecht, weil sie zu Chelsea wollte. Dabei stellte Feuer die größte Gefahr für die Insel dar. Die Bäume, die Holzhäuser würden in kürzester Zeit in Flammen aufgehen.
    »Da ist nichts«, sagte Kate. Das Haus war ihr egal, denn sie hatte nur noch ein Ziel: sie alle von der Insel zu schaffen, um dem Horror zu entfliehen. »Der Regen ist zu stark. Wir müssen jetzt die Mädchen holen und von hier verschwinden.«
    Als sie sich wieder in Bewegung setzten, hörte Kate das verhasste, gefürchtete Geräusch. Im ersten Moment spürte sie nichts als Empörung, die aber schnell Panik wich. Jemand blies in eine Trillerpfeife.
    Kate rannte los, und je näher sie der Hütte kam, desto lauter wurden die Schreie der Mädchen. Die Tür war eingetreten. Kate schleppte sich auf die Veranda hoch und rief nach Chelsea.
    »Mom!«
    Kate hörte ihr zu Tode verängstigtes Kind. Schnell bahnte sie sich einen Weg durch die zerbrochene Tür. In der Hütte war es still, nichts war zu hören als ein leises Weinen. Sie machte das Licht an und entdeckte die beiden Teenager, die am hinteren Ende des Raumes unter dem Fenster am Boden kauerten. Dann erst fiel ihr Blick auf den Angreifer, der mitten im Zimmer ausgestreckt auf dem Boden lag. Lulu hielt eine Schaufel umklammert, Chelsea ein Feuereisen. Der Mann lag vor dem Kamin. Kate machte sich nicht die Mühe zu überprüfen, ob er noch atmete.
    Die Mädchen sagten, er habe nach einem Safe gesucht. Kate wunderte sich darüber, dass der Mann davon wusste. Das Traurige war, dass sie in dem Safe nie etwas aufbewahrt hatten. Hin und wieder legte Birdie ihren Schmuck hinein, um ihn nicht zu verlieren. Nie hatten sie Wertgegenstände auf die Insel mitgebracht. Wozu auch? Diese Leute waren auf der Suche nach einem Schatz gewesen, der nicht existierte. Sie hatten ihr Leben für nichts und wieder nichts gelassen.
    Die Mädchen waren vor Angst wie gelähmt. Sie wollten den Blick nicht von dem Eindringling abwenden, so als könnte er jeden Moment wieder aufstehen.
    »Eben hat er sich noch bewegt«, sagte Chelsea. »Ich glaube nicht, dass er tot ist.«
    »Chelsea hat ihm das Eisen auf den Kopf geschlagen«, sagte Lulu. »Das war irre. Sie hat das Eisen gehalten wie einen Baseballschläger.«
    Die beiden waren außer sich, sie waren fast hysterisch.
    »Kinder«, sagte Kate sanft. Die Mädchen sahen sie an. »Wir müssen gehen.«
    Chelsea stand auf und stürzte auf Kate zu, Lulu folgte ihr. Kate umarmte sie beide. Sie betrachtete den Mann am Boden und überlegte, Chelsea den Feuerhaken abzunehmen und dem Mann ins Herz zu bohren. Er war ein tollwütiger Hund, die Menschheit wäre ohne ihn besser dran. Würde nicht jeder vernünftige Mensch den Verbrecher töten, der einem Kind etwas zuleide tun wollte? Aber anders als der Bewusstlose vor dem Kamin hatte Kate Hemmungen, einen wehrlosen Menschen zu töten oder zu verletzen. War das eine

Weitere Kostenlose Bücher