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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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unheimlicher Mann, blass und verschlossen, er lächelte nie. Er kam im späten Frühling und reiste vor dem ersten Frost ab. Bis er für immer blieb.
    Drei weitere Schüsse. Rogers Funkgerät knackte, und er hörte die Stimme des Polizeichefs. »Wir haben eine Leiche am Nordwestufer der Insel entdeckt. Die gestohlene Serendipity ist leckgeschlagen und vollgelaufen.«
    Roger schob sich zwischen den Bäumen hindurch. Er sah zwei Personen am Boden liegen und eine dritte, die danebensaß saß. Er zog seine Dienstwaffe.
    »Polizei!«, rief er. »Keine Bewegung!«
    Seine Frau hatte immer gesagt, dass er eine dröhnende Stimme hatte, aber in diesem Moment fühlte es sich nicht so an. Die dunkle Nacht schien sie zu verschlucken. Immerhin reckte die sitzende Gestalt beide Arme in die Höhe.
    »Sie kommen spät.« Er kannte die Stimme.
    »Birdie Burke?«, fragte Roger. »Sind Sie es?«
    »Wer sonst?«, schnaufte sie. »Passen Sie auf, wo Sie hintreten. Ich glaube, ich habe einen Geist erschossen.«
    Roger senkte den Blick und entdeckte einen Mann. Er war groß, hatte langes Haar, ein eingeschlagenes Gesicht und trug ein blutiges, zerfetztes T-Shirt. Er stieß ein schreckliches Röcheln aus. Roger kannte das Geräusch; es kündete den nahen Tod, das blutige Ende an. Die Brust des Mannes glänzte feuchtschwarz im Mondlicht. Die Töchter der Familie Heart waren ausgezeichnete Schützinnen. Roger kniete sich neben den Mann, der im selben Moment zu atmen aufhörte. Roger berührte seinen Hals, konnte aber keinen Puls fühlen. Die Haut war bereits kalt.
    »Wer ist das neben Ihnen?«, fragte Roger.
    »Ein Mädchen«, antwortete Birdie. »Sie ist mit den anderen beiden auf die Insel gekommen.«
    Roger überlegte. Wenn er zu einem Einsatz auf eine Insel gerufen wurde, fand er normalerweise betrunkene, knutschende Teenager vor. Oder einen Obdachlosen, der sich in ein Ferienhaus einquartiert hatte. Heute war es ein Brand, und es gab zwei Tote. Ausgerechnet auf Heart Island, das ihm immer so idyllisch erschienen war. Nicht die größte, aber in seinen Augen schönste Insel auf dem See.
    »Ist er echt?«, fragte Birdie. »Der Mann.«
    Eine seltsame Frage. Roger fürchtete, Birdie könnte einen Schock erlitten haben.
    »Ich glaube schon.«
    Er kam langsam näher. Birdie sah wirklich nicht gut aus. Seit gestern schien sie um Jahre gealtert zu sein. Der Wind trug Rauch heran, und Roger musste husten.
    »Wir müssen gehen, Mrs. Burke«, sagte er und beugte sich vor, um ihr aufzuhelfen. »Die Feuerwehr ist unterwegs.« Das Mädchen starrte mit aufgerissenen Augen in den Nachthimmel. »Kann sie laufen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Birdie. »Ich habe sie aus dem Haus und bis hier an den Strand gezogen. Fragen Sie sie selbst.«
    Die Feuersbrunst toste immer lauter. Das Knacken und Krachen des Holzhauses, das Jaulen und Pfeifen im Gebälk klang fremd und unheimlich. Glücklicherweise war der Abstand zwischen dem Haus und dem Wäldchen so groß, dass die Flammen nicht so schnell übergriffen. Aber falls das Feuerwehrboot nicht bald eintraf, wäre auch das nur eine Frage der Zeit. Dann wäre alles verloren.
    Roger wollte über Funk ein Polizeiboot ordern, aber da näherte sich John Cross dem Strand. Er saß allein in seinem kleinen Motorboot. Er packte die Leine, sprang heraus und watete ans Ufer.
    »Mrs. Burke soll zuerst einsteigen«, sagte Roger.
    »Ich bleibe hier«, sagte Birdie. Sie klang stur und herrisch, aber Roger konnte sehen, dass sie am ganzen Leib zitterte und mit den Tränen kämpfte. Auf einmal tat sie ihm unendlich leid. Nie hätte er gedacht, dass er für jemanden wie Birdie Burke so etwas empfinden könnte. Sie war alt und einsam.
    »Doch«, sagte Roger und schob sie sanft in Johns Richtung. John hob sie hoch wie ein Kind und trug sie zum Boot.
    »Lassen Sie mich auf der Stelle runter, junger Mann!«, schimpfte Birdie. Ihre empörte Stimme übertönte alle anderen Geräusche.
    Roger betrachtete die junge Frau zu seinen Füßen. Das sollte die flüchtige Verbrecherin sein? Eine junge, hilflose Frau? Ihre Augen standen offen, aber ihr Blick war leer. Sie stieß einen schrecklichen, bellenden Husten aus, weil sie zu viel Rauch eingeatmet hatte. Mit einem Mal rollte sie sich auf die Seite und fing zu schluchzen an. Sie schien wie ein verletztes Tier. Roger empfand Mitleid.
    Warum trug die junge Frau denselben Nachnamen wie die Inselbesitzer? Wahrscheinlich steckte mehr hinter der ganzen Geschichte. Roger zögerte, ihr Handschellen

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