Gedrillt
Einer der Männer rauchte. Er war hemdsärmelig und hatte die Krawatte gelockert. Das Fenster war einen Spaltbreit geöffnet, so daß der Zug sanft den Vorhang bewegte, ohne den blauen Dunst des Zigarettenrauchs zu vertreiben. Der unverkennbare beißende Gestank des ordinären ostdeutschen Tabaks kratzte mich im Hals. Das Rauchen war einer der wenigen Genüsse, die im Osten noch zu haben waren, und stieß da drüben weder auf offizielle Mißbilligung noch gesellschaftliche Ächtung.
Der Mann namens Valeri war ziemlich alt für einen Agenten im aktiven Dienst. Die hohen Backenknochen und schmalen Augen gaben ihm ein fast asiatisches Aussehen, das in Osteuropa nicht selten ist. Seine Gesichtsfarbe glich der von poliertem rotem Jaspis – mit dunkleren Flecken und glänzend wie ein am Strand gefundener nasser Kiesel. Sein dichtes braunes Haar – dunkler und glänzender gemacht durch eine Pomade – war lang.
Er hatte es nach hinten gekämmt, so daß es wie ein glänzender Helm die oberen Ränder seiner Ohren verdeckte. Seine Augen flackerten in meine Richtung, als ich ins Zimmer kam, aber sein Kopf bewegte sich nicht, und die hohe Stimme fuhr ohne Stocken fort.
Ihm gegenüber saß, die Beine schlaff übereinandergeschlagen, ein junger Mann mit frischem Gesicht. Er hieß Larry Bower und hatte in Cambridge studiert. Sein Haar war blond und wellig; er trug es lang in einem Stil, den ich »byronesk« habe nennen hören, obwohl das einzige Bild des Dichters, das mir erinnerlich ist, diesen mit hinten und an den Seiten kurzgeschnittenem Haar zeigt. Im Kontrast zu Valeris groben, schlechtsitzenden Kleidern trug Bower einen gutgeschnittenen Anzug aus rehbraunem Karostoff, ein weiches gelbes Baumwollhemd, eine Wykehamist-Krawatte und einen gelben Pullover. Sie sprachen Deutsch, das Larry fließend sprach, wie man das erwarten durfte von einem Mann mit deutscher Ehefrau und einem rheinischen Brauerei-Baron namens Bauer als Großvater. In einem Sessel in der Ecke beugte sich eine grauhaarige Angestellte über ihren Notizblock.
Bower hob die Augen zu mir, als ich hereinkam. Sein Gesicht veränderte sich kaum, aber ich kannte ihn gut genug, um an einem flüchtigen Blick zu erkennen, daß er seine Müdigkeit und Gereiztheit ausdrückte. Ich setzte mich in einen Polstersessel, von dem aus ich beide Männer sehen konnte. »Also noch einmal«, sagte Bower, »dieser neue Moskauer Verbindungsmann.« Als dächte er über ihre Unterhaltung nach, drehte er sich auf seinem Stuhl, um aus dem Fenster zu schauen.
»Nicht neu«, sagte Valeri. »Er ist schon seit Jahren da.«
»Ach, wie viele Jahre?« sagte Bower mit gelangweilter Stimme, noch immer aus dem Fenster sehend.
»Sagte ich Ihnen doch schon«, sagte Valeri. »Vier Jahre.« Bower beugte sich vor und berührte den Heizkörper, als wollte er prüfen, ob er warm sei.
»Vier Jahre.«
»Ungefähr vier Jahre«, erwiderte Valeri mit Nachdruck. All das gehörte zu dem Spiel: Bowers einstudierte Apathie und seine Unfähigkeit, sich die Tatsachen zu merken, sollten den Vernommenen womöglich provozieren, sich in Widersprüche zu verwickeln. Valeri wußte das, und das Mißtrauen, das diese Methoden mit sich brachten, war ihm nicht gerade angenehm. Uns auch nicht. »Würden Sie’s mir noch mal zeigen?« fragte Bower und schob eine zerbeulte Pappschachtel über den Tisch. Valeri öffnete die Schachtel und blätterte einen Packen eselsohriger Fotos in Postkartenformat durch. Er ließ sich Zeit dabei, und ich wußte, daß er sich für einen Augenblick entspannte. Selbst bei so einem Mann – einem von unseren eigenen Leuten, soweit wir wußten – konnte die andauernde Belastung eines Verhörs die Saiten des Geistes bis zum Zerreißen anspannen. Er war mit dem ersten Packen Fotos durch und begann mit dem zweiten. »Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte Bower, als wüßte er nicht, wie willkommen dem anderen die Atempause war. Bis vor vier Jahren hatte man solche Identifikationsfotos in große ledergebundene Alben geklebt. Dann aber hatte der KGB Besorgnis und Verwirrung in unseren Reihen ausgelöst, indem er drei seiner Doppelagenten instruierte, auf das gleiche Bild an der gleichen Stelle auf der gleichen Seite zu weisen und einen Mann namens Peter Underlet als Spion zu identifizieren, einen Oberst beim KGB. Tatsächlich gehörte Underlets Foto zu denen, die man nur zu Kontrollzwecken in die Sammlung aufgenommen hatte. Der arme Underlet. Sein Bild hätte zu einem derartigen Zweck nie benützt werden
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