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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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nannte, ins Zimmer. Sie erblickte mich und lächelte, dann stellte sie zwei Teller, Besteck und eine braune Papiertüte, in der man Brötchen ausmachen konnte, auf einen kleinen Tisch. Die Herzogin war eine dünne, zerbrechlich anmutende Waliserin, aber die Erscheinung täuschte, denn sie hatte Mut, Ausdauer und Zähigkeit eines Preisboxers. Weiß Gott, wie alt sie war: Schon seit unzähligen Jahren arbeitete sie im Berliner Büro. Ihr Gedächtnis war fabelhaft, und sie behauptete, auch die Zukunft vorhersagen zu können durch Handlesen, Horoskope und so weiter. Sie war unverheiratet und wohnte in Dahlem mit hundert Katzen, Mondtabellen und Büchern über das Okkulte. Jedenfalls erzählte man das. Manche Leute hatten Angst vor ihr. Frank Harrington machte Witze über ihr hexenhaftes Wesen, aber ich merkte, daß sogar Frank sich eine Auseinandersetzung mit ihr gut überlegen würde.
Die Teller waren ein schlechtes Zeichen. Irgend jemand schien die Vernehmung bis zum Abend dauern lassen zu wollen. »Sie sehen gut aus, Mr. Samson«, sagte sie. »Sehr fit.« Sie betrachtete meine verbeulte Lederjacke und die zerknitterte Hose und schien zu dem Schluß zu gelangen, daß meine amtlichen Pflichten dafür verantwortlich seien.
»Danke«, sagte ich. Ich nehme an, sie redete von meinem ausgehungerten Körper, müden Gesicht und den Sorgen, die ich mir machte und zweifellos auch zeigte. Gewöhnlich war ich füllig, nicht fit und glücklich. Eine zornige Katze kam ins Zimmer, das Fell gesträubt, die Augen geweitet und völlig aufgeregt. Sie funkelte das Zimmer an, als sei sie ein plötzlich in diese kätzische Gestalt verzauberter Besucher. Aber ich erkannte Jackdaw in der ältlichen Kreatur. Die Duchess nahm die Katze überall mit hin, sie schlief in ihrem Schoß, während die Duchess am Schreibtisch arbeitete. Jetzt, auf den Fußboden gesetzt, war sie entrüstet. Sie ging und schlug die Krallen ins Sofa. »Jackdaw! Hör auf!« sagte die Duchess, und die Katze hörte auf.
»Möchten Sie eine Tasse Tee?« fragte sie mit unverändert hartem walisischen Akzent.
»Ja, danke«, sagte ich, dankbar, daß sie mich nach so langer Abwesenheit wiedererkannt hatte.
»Zucker? Milch?«
»Beides bitte.«
»Und Sie, Mr. Teacher?« fragte sie meinen Gefährten. Ihn fragte sie nicht, wie er seinen Tee wollte. Vermutlich wußte sie das schon.
Da wir nun mit der Duchess Tee tranken, hatte ich Gelegenheit, mir diesen Teacher etwas genauer anzusehen, als mir das am Abend zuvor möglich gewesen war. Er war ungefähr dreißig Jahre alt, ein schmächtiger, nicht zum Lächeln geneigter Mann mit dunklem Haar, das kurz geschnitten und sorgfältig gescheitelt war. Die Weste seines dunkelblauen Anzugs war auffällig geschnitten, zweireihig geknöpft, mit Elfenbeinknöpfen und breitem Revers. War das ein Relikt vergangener Junggesellenherrlichkeit oder der cri de coeur eines Mannes, der einer Laufbahn unendlicher Anonymität bestimmt ist? Sein Gesicht zeichneten tiefe Furchen, dünne Lippen und Augen, die starr blickten, ohne irgendwelche Gefühle zu verraten, außer vielleicht untröstliche Traurigkeit.
Während wir unseren Tee tranken, sprach die Duchess von den alten Zeiten im Berliner Büro und erwähnte dabei, auf welche Weise Werner Volkmann ein Hotel Nähe Kurfürstendamm zu einem »gemütlichen Unterschlupf für ein paar alte Kameraden« hergerichtet habe. Sie wußte, daß ich eng mit Werner befreundet war, und deswegen erwähnte sie’s vermutlich. Obwohl sie Werners Unternehmen zweifellos hatte rühmen wollen, bezweifelte ich, daß ihre Beschreibung dem wirtschaftlichen Gedeihen viel Gutes verhieß, denn die »alten Kameraden« waren laut und anspruchsvoll. Nicht die Sorte Kunden, aus denen man Gewinn ohne Verluste ziehen konnte. Wir plauderten, bis die Duchess eine jener wohlbedachten Mutmaßungen äußerte, denen sie den Ruf einer Hexe verdankte. Sie sagte, man würde mich in zehn Minuten hineinbitten. Das stimmte dann ziemlich auf die Minute.
Ich ging leise hinein. Zwei Männer saßen einander an einem prächtigen Mahagonitisch gegenüber. Seine Oberfläche wurde durch eine Glasscheibe geschützt. Um ihn herum standen acht imitierte Hepplewhite-Stühle, sechs davon leer, bis auf den einen, über den ein formloses blaues Jackett gehängt war. Ein billiger Kristallkronleuchter hing über einem Ende des Tisches, woran sich zeigte, daß der Tisch vom Fenster abgerückt worden war, da auch hier in Charlottenburg Fenster gefährlich sein konnten.

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