Gedrillt
fühlte er ihr den Puls. »Das sollte reichen«, sagte er. »Ein Beruhigungsmittel. Kein Alkohol. Und während der nächsten ein, zwei Stunden sollte sie auch nichts essen. Ein Arzt von der R. A. F. wird am Kölner Flughafen auf Sie warten. Ich werde ihn benachrichtigen. Er wird Sie auf der ganzen Reise begleiten.«
»Auf der ganzen Reise wohin?« fragte ich. Der junge Arzt sah den Oberst an, der sagte: »Haben sie’s Ihnen denn nicht gesagt? Es ist doch immer wieder das gleiche, was? Den Leuten an der Front wird nie was gesagt. Sie werden auf einen transatlantischen Flug umsteigen. Eine lange Reise, aber die Air Force wird sich um Sie kümmern.« Fiona entspannte sich jetzt. Das Gelächter hatte vollkommen aufgehört, und sie sah sich um, als erwache sie aus tiefem Schlaf. Sie gestattete dem Oberst, ihr aus dem Wagen zu helfen. »Wo sind Ihre Schuhe?« fragte er ritterlich und fing an, sie zu suchen. »Ich habe meine Schuhe verloren«, sagte sie tonlos und strich ihr Haar zurück, als werde ihr plötzlich ihre ungepflegte Erscheinung bewußt.
»Das macht gar nichts«, sagte der Oberst. »Es gibt sehr hübsche Schuhe in Amerika.«
20
Der Sommer ist nicht die beste Zeit in Südkalifornien. Selbst in »La Buona Nova«, dem großen Anwesen an einem Berghang in Ventura County, wo Fiona während ihres offiziellen Verhörs verborgen gehalten wurde, gab es lange, energieverzehrende Tage, an denen nicht ein Lüftchen vom Stillen Ozean wehte. Bret Rensselaer hatte die Leitung dieser Einsatzauswertung. Manche Leute – auch ich – hatten gesagt, er sei zu alt, um noch einmal eine volle Stelle beim Department zu übernehmen. Bret galt offiziell als Fionas Führungsoffizier. Bret war von Anfang an in Fionas langfristig angelegten Plan, sich nach Moskau abzusetzen, eingeweiht. Er hatte die Stufen der Ausführung dieses Plans überwacht. Es gab also wirklich niemand anderen, der sie hätte vernehmen können.
Bret Rensselaer war entschlossen, bei dieser Aufgabe, die zweifellos die letzte seiner dienstlichen Laufbahn sein würde, einen großen Erfolg zu erringen. Die Aussicht auf Erhebung in den Adelsstand kam nie zur Sprache, aber man brauchte kein Gedankenleser zu sein, um zu wissen, wie sich nach Brets Dafürhalten die dankbare Monarchin in angemessener Weise für seine Dienste erkenntlich zeigen sollte. Bret jedenfalls wäre sich nicht zu gut dafür, bei dieser Gelegenheit vor ihr das Haupt zu beugen: Er würde für diesen Titel auf den Knien von einer Küste der Neuen Welt zur anderen rutschen.
Niemand schien irgendein Dankeschön für mich in Betracht zu ziehen. Als mein Gehalt überwiesen wurde, fiel mir auf, daß mir alle Sondervergünstigungen und Zulagen abgezogen worden waren. Nichts als den nackten Grundbetrag kriegte ich plötzlich. Als ich das Bret gegenüber erwähnte, sagte er, schließlich hätte ich hier Kost und Logis gratis. Du lieber Himmel, sagte ich, und keine Entschädigung dafür, daß ich von meinen Kindern getrennt bin? Aus naheliegenden Gründen sprach ich nicht von Gloria. Bret war es, der Gloria zur Sprache brachte. Er sagte, man habe ihr erklärt, ich sei in einer Mission unterwegs, die geheimgehalten werden müsse. Das Department wache darüber, daß meine Kinder glücklich und wohlversorgt seien. Er sagte das, als ob seine Worte eine nicht gerade versteckte Drohung gegen mich enthielten. Ich hatte das Gefühl, was man Gloria sagen würde, würde sehr von meinem guten Benehmen abhängen.
Eines Tages bemerkte ich unter den Papieren auf Brets marmorner Tischplatte eine farbige Postkarte. Es war van Goghs Gemälde eines Briefträgers in seiner blauen Uniform, ein Bild, das Gloria ganz besonders liebte. »Könnte diese Postkarte wohl für mich sein?« fragte ich.
»Nein«, sagte er wie aus der Pistole geschossen.
»Bist du sicher?«
»Das ist meine Privatkorrespondenz«, sagte Bret. Ich hatte
nicht übel Lust, sie in Augenschein zu nehmen, aber der Tisch war groß, und Bret hatte die Karte in der Hand, ehe ich sie erreichen konnte. Er warf sie in eine Schublade. Ich wußte, es war eine Karte von Gloria an mich. Ich wußte es einfach. Danach hatte ich selten Zutritt zu Brets »Büro«, und wann immer ich dort war, war der Schreibtisch aufgeräumt und leer. Und die einzige Post, die man mir nach Kalifornien nachsandte, war ein Porträtfoto, das Paul Bocuse zeigte. Die Karte war in Lyon abgestempelt, Tante Lisl beschrieb mir eine Mahlzeit, die sie dort gegessen hatte.
Sie hatten mich und Fiona in
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