Gedrillt
mit Spitzenborten am Brustlatz. Lisl bezeichnete sie stets als »das Dienstmädchen«, aber Klara war schon ein sehr altes Mädchen. Sie war dünn und drahtig, ein vogelartiges Geschöpf mit hellen, kleinen Augen, das graue Haar trug sie zu einem festen Knoten geschlungen im Nacken, wie das in ihrer Jugend Mode gewesen war. Man sah ihr an, daß sie ihr Leben lang schwer gearbeitet hatte, geschuftet für Lisl, schon lange bevor das Haus in ein Hotel verwandelt wurde. »Und diesmal«, wies Lisl Klara nachdrücklich an, »tun Sie weniger Kaffee in die Kanne.«
»Manche Leute mögen starken Kaffee«, sagte ich, aber Lisl winkte Klara zu, nicht auf mich zu hören. Als Klara außer Hörweite war, erklärte Lisl mir mit lauter, ernster Stimme: »Sie verschwendet Kaffee. Dabei ist der so teuer. Weißt du, was ich für diesen Kaffee bezahle?« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Klara den Kopf wandte, um besser zu hören, was Lisl sagte. Ich wollte gerade erwidern, es sei doch allmählich Zeit, daß Lisl aufhörte, sich über solche Sachen den Kopf zu zerbrechen, und die Buchhaltung Werner und Ingrid zu überlassen. Aber das letzte Mal, als ich so etwas gesagt hatte, hatte ich damit eine entrüstete Tirade entfesselt, in der mir mit Nachdruck versichert wurde, daß sie noch nicht zu alt sei zu wissen, wie das Hotel geführt werden müsse. Ich nehme an, Werner und Ingrid hatten irgendeinen Weg entdeckt, mit Lisl umzugehen, denn ich hatte nicht den Eindruck, daß sie ihnen die Veränderungen, die sie vorgenommen hatten, übelnahm.
Dieser Speisesaal zum Beispiel war vollkommen neu eingerichtet. Man hatte die hölzerne Täfelung abgebeizt und die banalen Drucke durch Aquarelle eines zeitgenössischen Künstlers ersetzt. Sie zeigten Berliner Straßenszenen und
- 70 -
vertrugen sich gut mit einer grausamen Zeichnung von George Grosz, die als einziges Stück des früheren Wandschmucks übernommen worden war. Diese Zeichnung hatte immer neben diesem Tisch gehangen, der an dem Fenster zum Hof stand, und an diesem Tisch saß Lisl zum Mittagessen am liebsten.
Einer von Lisls gehässigeren Kritikern sagte einmal, sie sei wie eine Zeichnung von George Grosz: schwarz-weiß, ein Mensch der Extreme, eine ausgezackte Karikatur der dreißiger Jahre.
Und heute sah die korpulente Frau im langärmeligen schwarzen Kleid mit ihren schwarz von Mascara umrandeten, durchbohrenden Augen tatsächlich so aus.
Der Kaffee kam, und Klara goß mir welchen in die Tasse.
Es war ein dünnes Gebräu, ohne Aroma oder Farbe. Ich sagte nichts dazu, und Lisl tat so, als habe sie nicht mal gemerkt, daß er gebracht worden war. Lisl trank ein wenig Milch. Sie mochte dieser Tage keinen Kaffee. Langsam arbeitete sie sich durch einen roten Apfel, ein Stück Emmentaler und eine Scheibe Schwarzbrot. Ihre arthritische alte Hand – blaß und fleckig, mit Diamantringen bestückt – hielt ein scharfes Küchenmesser und schnitt von dem Apfel ein sehr kleines Stück. Sie nahm es zwischen Finger und Daumen und aß vorsichtig, so daß sie ihren leuchtendroten Lippenstift nicht verschmierte. »Werner hat seine eigenen Ideen«, sagte Lisl plötzlich. Sie sagte das, als redeten wir schon von ihm und als antwortete sie auf eine Frage. »Werner hat seine eigenen Ideen, und er ist fest entschlossen.«
»Was für Ideen?«
»Er hat die Bücher durchgesehen und schreibt mit diesem Textcomputer Briefe an alle Leute, die während der letzten fünf Jahre oder mehr hier gewohnt haben. Er führt auch Buch über die Gäste, ihre Namen, die Namen ihrer Frauen und was sie gerne aßen und welche Schwierigkeiten wir mit ihnen hatten.«
»Ausgezeichnet«, sagte ich. Sie verzog das Gesicht, und so
- 71 -
sagte ich: »Du glaubst, das ist nicht die richtige Methode?«
»Jahrelang habe ich das Hotel geführt ohne diese Sachen«, sagte Lisl. Sie sagte nicht, daß Werner es nicht richtig machte.
Lisl würde abwarten, bis Werner seine neuen Ideen ausprobiert hatte. So machte Lisl das immer. Sie riskierte nicht gerne, ins Unrecht gesetzt zu werden.
»Werner versteht was von Geschäften«, sagte ich.
»Und die Bridge-Abende«, sagte Lisl. »Frank Harringtons Leute kommen zu diesen Bridge-Abenden. Die Engländer lieben Bridge, nicht?«
»Manche«, sagte ich.
Lisl lachte grausam. Gewöhnlich konnte sie mich beim Bridge schlagen. Wenn sie lachte, wabbelte ihr massiger Leib und wellte ihr glänzendes Satinkleid. Sie erhob die Hand und berührte den Augenwinkel mit dem kleinen Finger. Es war
Weitere Kostenlose Bücher