Gedrillt
von der guten alten Zeit.
Natürlich gab es auch andere Gäste: Manchmal kamen einige aus der Schickeria – die Berliner Hautevolee in Pelzmänteln und Abendkleidung – hier vorbei, um sich mal anzusehen, wie es in der Unterwelt zuging. Aber diese Leute waren immer anderswohin unterwegs. Und für die Jugend war das ›Babylon‹
keine Adresse. Hier kriegte man weder Smack, Crack noch Angeldust oder irgendein anderes dieser pulverisierten Genußmittel, die draußen auf der Straße zwischen Typen mit Irokesenhaarschnitt ausgetauscht wurden. Rudi war da hart.
»Hör um Himmels willen auf, mit dem Eis zu klappern.
Wenn du noch was trinken willst, sag’s doch.«
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»Nein, danke, Rudi. Ich bin todmüde, ich muß ein bißchen schlafen.«
»Kannst du nicht still sitzen? Was ist denn los mit dir?«
»Ich war ein hyperaktives Kind.«
»Vielleicht hat dich dieser neue Virus erwischt. Ekelhaft.
Mein Manager liegt schon seit vierzehn Tagen im Krankenhaus. Deshalb bin ich ja hier.«
»Ja, das sagtest du schon.«
»Du bist so blaß. Ißt du auch richtig?«
»Du hörst dich an wie meine Mutter«, sagte ich.
»Und schläfst du gut, Bernd? Ich glaube, du solltest mal zum Arzt gehen. Meiner in Wannsee hat Wunder an mir vollbracht. Er gab mir ein paar Spritzen – irgendein neues Hormonpräparat aus der Schweiz – und hat mich auf strenge Diät gesetzt.« Er berührte die in dem Glas Wasser vor ihm schwimmende Zitronenscheibe. »Und ich fühle mich fabelhaft.«
Ich trank meinen Scotch aus, aber es waren nur noch ein paar Tropfen im Glas. »Ich hab’ keine Ärzte nötig, mir geht’s gut.«
»Du siehst aber nicht gut aus. Krank siehst du aus, richtig krank. Ich habe dich noch nie so blaß und müde gesehen.«
»Es ist spät.«
»Ich bin doppelt so alt wie du, Bernd«, sagte er in einem Ton, in dem sich Selbstzufriedenheit und Tadel mischten. Das stimmte nicht: Er konnte höchstens fünfzehn Jahre älter sein als ich, aber ich merkte, daß er in reizbarer Stimmung war, und widersprach ihm deshalb nicht. Manchmal tat er mir leid. Vor Jahren hatte er seinen einzigen Sohn genötigt, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten. Der Junge hatte dem Vater den Willen getan, aber er war zu weich gewesen, sogar für die moderne Armee. Hatte eine Überdosis genommen und war in Hamburg, in einer Kaserne, tot aufgefunden worden. Offiziell war’s ein Unfall gewesen. Rudi sprach nie davon, aber jeder
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wußte, daß er sich selbst die Schuld gab. Seine Frau verließ ihn, und er war ein anderer nach dem Verlust des Jungen: Seine Augen hatten den Glanz verloren, waren hart und funkelnd geworden.
»Und ich dachte, du hättest mit dem Rauchen aufgehört.«
»Ich mache das dauernd.«
»Zigarren sind nicht so gefährlich«, sagte er und paffte zufrieden.
»Sonst ist nichts?« bohrte ich. »Keine Neuigkeiten?«
»Der Stellvertreter des Führers, Heß, ist gestorben …«, sagte er sarkastisch. »Er wohnte in der Wilhelmstraße, Nummer sechsundvierzig. Seit seinem Umzug nach Spandau lebte er ziemlich zurückgezogen.«
»Ich meine es ernst«, beharrte ich.
»Dann muß ich dir wohl die wirklich heiße Nachricht erzählen, Bernd: Das bist du! Es heißt, daß irgendein Verrückter versucht hat, dich mit einem Lastwagen zu überfahren, als du gerade die Waltersdorfer Chaussee überquertest. Bei hoher Geschwindigkeit! Man sagt, er hätte dich fast erwischt.« Ich starrte ihn an. Ich sagte nichts.
Er schniefte und sagte: »Man hat sich gefragt, was denn ein netter Junge wie Bernd Samson da am Ende der Welt überhaupt zu suchen hatte. Da gibt’s doch nur diesen alten Grenzübergang. Nirgends kommt man von da aus hin, nicht mal nach Waltersdorf, da steht eine Mauer im Weg, weißt du.«
»Was hast du gesagt?« fragte ich.
»Ich werde dir sagen, was es da zu suchen gibt, ich hab’s denen auch gesagt: Erinnerungen.« Er rauchte seine Zigarre und betrachtete prüfend ihr glimmendes Ende, wie ein Philatelist eine seltene Marke betrachten mag. »Erinnerungen«, wiederholte er. »Hatte ich recht. Bernd?«
»Wo ist diese Waltersdorfer Chaussee? Ist das eine von diesen vornehmen Straßen in Nikolassee?«
»In Rudow. Wenn ich mich recht erinnere, haben sie Max
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Busby auf dem Friedhof dort begraben. Erst nach langem Geschacher haben sie die Leiche freigegeben. Wenn sie jemanden auf ihrer Seite der Mauer umlegen, sind sie gewöhnlich auch mit den sterblichen Überresten nicht gerade freigebig.«
»Ist das so?« sagte ich. Ich
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