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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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auf der Strecke blieben. Nach meinem Eintreten hatte er zerstreut ein paar Walzertakte gespielt und mir zugelächelt, als kenne er mich. Bald danach hörte das Klavierspiel auf. Ich hatte das Gefühl, daß ich die Gemütlichkeit entschieden gestört hatte. Der Kellner stürzte sich auf mich. Gefragt, was ich trinken wollte, und unterrichtet, daß es keine harten Sachen gab, nahm ich einen Gespritzten und stand dann herum und wartete darauf, daß die anderen nach Hause gingen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Staiger großen Wert darauf legte, sich mich vom Leib zu halten, denn nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß man mir was zu trinken gebracht hatte, wandte er sich einer Gruppe am anderen Ende des Raumes zu. »Sie wohnen also jetzt in Salzburg?« fragte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und stellte fest, daß es der Klavierspieler war, den ich in der besseren Beleuchtung wie ich mit Schrecken wahrnahm, allerdings erkannte. Heiliger Himmel! Ein bösartiges Reptil namens Theodor Kiss, das sich Dodo nannte.
    Bei unserer letzten Begegnung hatte er versucht, mich in Stücke zu reißen, und war auch zu diesem Zweck ausgerüstet gewesen. Jetzt aber lächelte er liebenswürdig, und das lange weiße Haar verlieh ihm eine trotz seines ungebügelten Abendanzugs majestätische Erscheinung. Er war ein bösartiger alter Mann, ein Ungar, der, als Deutschland den Krieg verlor, die Seiten gewechselt und bei den Siegern Karriere gemacht hatte.

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    »Nein. Sie vielleicht?« fragte ich.
    »Ich wohne jetzt in Wien. Ich habe hier eine wunderhübsche neue Wohnung. Ich fand, es war Zeit zu einem Umzug …
    Südfrankreich ist so … vulgär geworden.«
    »Tatsächlich?« Ich konnte die neue, rote Narbe quer über Dodos Schädel erkennen. Die Wunde hatte ihm Jim Prettyman beigebracht, als er ihn niederschlug und damit mir wahrscheinlich das Leben rettete.
    »Und wie geht’s meinem Darling Zu?« Er war mit Glorias Familie befreundet.
    Ich brummte irgendwas davon, daß es ihr gutginge. Er wußte, daß ich nicht mit ihm sprechen wollte, aber ihm machte es Spaß, sich mir aufzudrängen. »Ich habe schließlich in Wien studiert. Die Stadt ist für mich eine Art Heimat. So viele alte Freunde und Kollegen.«
    Ich nickte. Ja, allerdings. Eine Menge alte Kollegen gab es hier für einen einstigen Nazi wie Dodo. Der Kellner offerierte uns ein Tablett mit Liptauer Käse auf kleinen Toastscheiben.
    Ich schob mir ein paar davon in den Mund. Im Flugzeug hatte es nichts zu essen gegeben.
    »Wien ist die schönste Stadt der Welt«, sagte Dodo. »Und so gemütlich! Mögen Sie die Oper?«
    Endlich errettete mich aus dieser Unterhaltung ein Mann, der mich fragte, ob ich Reporter einer Zeitung sei. Dodo machte sich davon. Der Neuankömmling war untersetzt und trug einen kleinen Bart, den man einen van Dyke nennt, obgleich er an ihm eher mephistophelisch aussah. Ich antwortete ihm, das sei ich nicht, und er schien zufrieden zu sein. Er hob den Arm und zeigte auf ein großes Gemälde; ein groteskes Arrangement von abstrakten Formen in den Primärfarben. »Gefällt Ihnen das?«
    »Was ist es?« sagte ich.
    »Es ist moderne Kunst«, sagte er in herablassend belehrendem Ton. »Wissen Sie, was das ist?«

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    »Ja. Moderne Kunst ist, was passiert ist, als die Maler aufhörten, den Mädchen nachzusehen.«
    »Ach wirklich?« sagte er kalt. »Ist das nicht
    Kulturbolschewismus?« Das war ein Tiefschlag. Als Kulturbolschewismus verurteilten die Nazis alle Kunst außer der vom Staat gebilligten, die natürlich nicht abstrakt war.
    »Es fängt an, mir zu gefallen«, sagte ich feige. »Sind Sie Maler?«
    »Andras Scolik!« Er schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich knapp. »Ich schreibe Musik«, sagte er.
    »Wienerische Musik.«
    »Walzer?«
    »Walzer!« sagte er verächtlich. »Natürlich nicht. Wahre Musik!«
    »Ach so«, sagte ich. Ich erregte die Aufmerksamkeit eines vorübergehenden Kellners, und diesmal erhaschte ich ein Glas einheimischen Champagners. Er schmeckte genau wie der Gespritzte.
    »Nein«, sagte er. »Ich habe weder den berühmten Jodler geschrieben noch ›Im Salzkammergut kann man gut lustig sein‹. Ich hoffe, das enttäuscht Sie nicht zu sehr.«
    »Nein.«
    »Es ist eine Schlacht gegen die Geschichte«, meinte er.
    »Wir Österreicher übertreiben alles, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Doch, doch. Ausländer lachen uns aus. Unsere
    Nationaltracht ist komisch, unser Deutsch unverständlich,

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