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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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qualifizierten? Wenn aber Thurkettle der Killer war, warum? Oder, um die ganze Geschichte auf den Kopf zu stellen, war Thurkettle ein besonders sorgfältig getarnter Agent, für den man die bizarre Hintergrundstory mit der Verurteilung wegen Doppelmords als Tarnung fabriziert hatte?
    Und wenn das der Fall war, wer hatte Johnson getötet, angenommen, er hieß Johnson? Und unterdessen sagte mir ein anderer Teil meines Gehirns, daß die Londoner Zentrale jetzt keine Meldung von mir erwarten würde. Nicht einmal Stowe würde erwarten, daß ich jetzt Kontakt aufnähme, nicht angesichts des Schlamassels, aus dem ich hier erst mal herauskommen mußte, und bei der Wahrscheinlichkeit, daß die österreichische Polizei das Gespräch abhörte. Trotz allem erleichterte mich dieser Aufschub irgendwie.

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    Mein Flugzeug startete in Salzburg in ein wagnerianisches Gewitter, das die Alpen mit blauen Blitzen erhellte und donnernd die Welt erschütterte. Der gegen die metallische Haut der Maschine prasselnde Regen übertönte die Stimmungsmusik aus den Lautsprechern, und das Flugzeug schlingerte und stampfte, als es gegen die heftigen Windböen ankämpfte und auf der engen Bahn zwischen den Berggipfeln in die Höhe stieg. Ich mußte noch den entsetzlichen Anblick jenes zerfetzten Körpers loswerden. Da es außer dem Flugmagazin nichts zu lesen gab, nahm ich den Briefmarkenkatalog aus meiner Reisetasche und betrachtete noch einmal die Abbildung des Umschlags, den ich nicht bekommen hatte. Ich studierte sie sehr eingehend und versuchte zu verstehen, welcher Dämon Männer dazu treibt, kostspielige Sammlungen dieser hübschen kleinen Bildchen zusammenzukaufen. Das Farbfoto war so realistisch, daß es fast schien, als könnte man den Umschlag von der Druckseite nehmen. Mit der Schere meines Schweizer Armeemessers schnitt ich die Abbildung aus und steckte sie in meine Brieftasche.
    Es war spät, als wir zur Landung in Wien ansetzten. Das Gewitter lag hinter uns, und vom mondlosen Himmel leuchteten die Sterne. Die Adresse, die Hoffmann mir gegeben hatte, lag in der Innenstadt. Ich betrachtete noch einmal den bunten Stadtplan, den ich am Abfertigungsschalter eingesteckt hatte. Da war die Stadt sehr hübsch und farbenfreudig dargestellt – mit perspektivischen Zeichnungen der Hauptsehenswürdigkeiten wie der Hofburg – und umrankt von Anzeigen für Zerstreuungen wie die »Revue Bar«, die
    »Kontakt-Club-Sauna« und den »Privaten Begleiterinnen-Service« mit Erläuterungen in Deutsch, Arabisch und Japanisch. Sorgfältiges Studium des Plans entdeckte mir, daß mein Ziel eine Nebenstraße der Kärtnerstraße war, einer

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    wichtigen Durchgangsstraße, die vom Opernring, der die Innenstadt einschließt, zum Stephansdom führt. Es war dunkel, als ich neben dem kolossalen Bau der Staatsoper aus dem Taxi stieg. Drinnen war eben der Vorhang über dem letzten Akt des Barbier von Sevilla gefallen. Viele Türen öffneten sich gleichzeitig, so daß gelbe Lichtrechtecke auf das Pflaster hinausfielen. Dann drängten Leute nach draußen, einzelne zunächst, etwa ein Dutzend, die schweigend die
    regenglänzenden Straßen musterten mit einer Miene verwirrter Vorsicht, so, wie intergalaktische Reisende aus einem riesigen, steinernen Raumschiff aussteigen mögen. Von drinnen hörte man gedämpft Applaus aufbrausen. Augenblicke später entließ das sich zum letzten Mal verbeugende Ensemble eine Flut von Menschen, und diese kam lärmend und hochgestimmt. Eine wirbelnde Masse ergoß sich über den Vorhof auf die Fahrbahn, ohne Rücksicht auf den Verkehr, und die Leute lachten und riefen einander zu, wie Schwerverbrecher der Oberschicht, die unerwartet aus dem Gefängnis entlassen worden waren.
    »Fußgängerzone«, erklärte der Taxichauffeur, indem er eine illegale Kehrtwendung machte und seinen Wagen für die Menge der Heimkehrenden in Stellung brachte, von denen ihm schon viele winkten. »Von hier aus müssen Sie zu Fuß weiter.«
    Inzwischen war die Straße voller Leute, bekleidet mit erstaunlichen Pelzmänteln, Abendanzügen und Abendkleidern, die anzulegen Deutsche und Österreicher für erforderlich halten, wenn sie einer kulturellen Veranstaltung beiwohnen.
    Eine Gruppe derart aufgeputzter Opernbesucher belagerte das Taxi, sobald es anhielt, und fing an, es mit lauten Stimmen zu umringen, woraus schnell ein Streit konkurrierender Gruppen wurde. Ich bezahlte den Fahrer und bahnte mir einen Weg durch die Scharen, die noch immer aus den

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