Gedrillt
unsere Küche unverdaulich, unsere Bürokratie unüberwindlich.
Selbst unsere Landschaft und unser Klima sind absurd und übertrieben. Berge und Schnee. Wie ich das alles hasse. Fragen Sie einen Ausländer nach einem berühmten Österreicher, und er wird Ihnen Julie Andrews nennen.«
Ich war auf diesen leidenschaftlichen Ausbruch nicht gefaßt.
Ich versuchte, ihn zu beruhigen. »Ich dachte an Mozart«,
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beschwichtigte ich schnell.
Das schien ihn nur noch wütender zu machen. »Reden Sie mir nicht von Mozart. Dieses verfluchte Land ist seinem Andenken versklavt. Wir Musiker sind Gefangene Mozarts und seiner elenden Rokoko-Musik. Tam-titti-tam-titti-tam-tam-tam.
Ich verachte Mozart.«
»Ich dachte, jeder hätte Mozart gern«, sagte ich.
»Die Engländer mögen ihn. Diese anämische Musik des 18.
Jahrhunderts entspricht irgendwie dem blutleeren englischen Temperament.«
»Vielleicht ist es das«, sagte ich. Die Hoffnung, ihn beruhigen zu können, hatte ich aufgegeben.
»Tote Komponisten! Sie mögen nur tote Komponisten. Als Mozart noch lebte, mußte er bei den Dienstboten sitzen. Eine Stufe über dem Küchenpersonal, aber viele Stufen unter den Kammerdienern. So gehen sie mit Musikern um, solange die noch am Leben sind.«
»Sie verachten Mozart doch nicht wirklich, oder?« fragte ich.
»Tam-titti-tam-titti-tam-tam-tam.«
»Bedenken Sie«, sagte ich mit einiger Autorität, »die psychologische Einsicht, die dramatische Integrität und die musikalische Eleganz.«
»Quatsch! Warum hat der dumme Junge so viel Zeit auf deutsche Opern verschwendet? Spielzeugmusik! Konnte er nicht sehen, daß die Zukunft der Oper im sublimen Genius der Italiener wurzelt? Hören Sie nur La Traviata! Da werden Sie Leidenschaft hören … tiefes, menschliches Gefühl, ausgedrückt durch den üppigen Klang eines großen Orchesters und orchestriert von einem wahrhaft genialen Komponisten, der die Kunst des Gesangs auf eine Weise verstand, von der der kleine Mozart keine Ahnung hatte.«
»Andras!« rief jemand vom anderen Ende des Zimmers.
»Kannst du hier mal einen Streit schlichten?« Der zornige
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Musiker verbeugte sich knapp und wandte sich in aller Förmlichkeit von mir ab, wobei er ein paar Tropfen seines Weins verschüttete. Ich nippte an meinem Glas und sah mich um. Die Atmosphäre im Raum hatte sich spürbar aufgelockert.
Anstatt der übersättigten Müdigkeit, die so oft die Trauergäste einer sterbenden Party umgibt, war da ein Gefühl der Erwartung, aber ich hatte keine Ahnung, was erwartet wurde.
Ich musterte den Raum. Er schien für diesen
Gesellschaftsempfang teilweise ausgeräumt worden zu sein.
Die Rechtecke heller getönter Tapete an der Wand verrieten, daß man einige großformatige Bilder durch kleinere ersetzt hatte. Die wenigen Möbelstücke, die jetzt hier noch standen, waren kostbare Antiquitäten, Beistelltische mit Einlegearbeiten und ein Büffet im Hepplewhite-Stil. Aber meine
Aufmerksamkeit richtete sich auf ein Arrangement in einer Ecke des Raumes. Es war offensichtlich aufgestellt worden, irgendeinen reichen Kunden zu bezaubern. Drei wunderschöne Stühle in dem strengen geometrischen Stil der Wiener Sezession und dahinter zwei vorzügliche Plakate von Schiele.
Mein widerwilliger Gastgeber muß gesehen haben, wie ich seine Waren bewunderte, denn als er nun, eine
Champagnerflasche in der Hand, auf mich zukam, lächelte er.
»Ich hoffe, Andras war nicht allzu unfreundlich«, sagte Staiger.
Er füllte mein Glas. Er schien sich damit abgefunden zu haben, daß ich mich zu seiner Party eingeladen hatte.
»Er war sehr informativ.«
»Sind Sie vom Diplomatischen Corps?« Diesmal kam ein Lächeln, und die Nase zuckte. »Oder schickt uns die Londoner Zentrale neuerdings feiner gebildete Leute?« Staiger war etwa zehn Jahre jünger als ich, und trotzdem konnte er sich eine derartige Bemerkung erlauben, ohne damit Zorn zu provozieren oder zu kränken. Baron Staiger aus Wien und Herr Hoffmann aus Salzburg und Gott weiß was an den anderen Orten, die er besuchte, besaß ein gerüttelt Maß von jenem
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Wiener »Zauber«, den die übrige Welt »Schmalz« nennt. Er sagte: »Andras hat heute abend eine schwere Enttäuschung erlebt, fürchte ich. Zehn Jahre lang hat er sich um eine Aufführung seines Streichquartetts bemüht. Heute abend ist es aufgeführt worden. Seine treuen Freunde waren da, aber wir waren nicht genug, den Konzertsaal zu füllen.« Er nippte an seinem Glas.
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