Gefaehrlich begabt
Tränen, eine Gefühlsattacke, Panik. Doch Marlas Worte brachten etwas anderes in ihr zum Schäumen. Wut auf sich, weil sie es nicht hatte kommen sehen. Wut auf Marla, weil sie ihn hatte gehen lassen. Wut auf die Fingerless und den widerlichen Rechtsbeirat, weil sie ihr das Liebste genommen hatten. Ihr größter Zorn jedoch galt plötzlich ihm, ihrem Halbgott. Was bildete sich der Typ überhaupt ein?
Tränen stiegen auf, doch sie rührten nicht von Traurigkeit. Anna warf sich zurück in die Laken und schluchzte ins Kissen. Sie dachte zurück, sehnte sich an den Punkt, an dem alles begonnen hatte. Wo er ihr mit seinem unwiderstehlichen Grinsen Marlas Haustür geöffnet hatte und ihr Verstand auf den einer Dreizehnjährigen schrumpfte. Wenn sie damals gewusst hätte, wie schwer es war, seine Hand loszulassen, hätte sie diese niemals berührt. Nie!
»Du bist stark genug, ohne ihn zu leben«, sagte Marla.
Die Worte bewirkten etwas anderes, als Marla sicherlich beabsichtigt hatte. Nein, sie war nicht stark genug, ohne ihn zu leben, und sie wollte es auch nicht sein. Wenn er glaubte, den Helden spielen zu können, dann konnte sie das auch. Die Zukunft hatte viele Namen, aber Annas Zukunft kannte nur einen.
Sebastian.
Sie richtete sich auf und ließ der Wut freien Lauf. Das feuchte Kissen landete an der Wand. Sie würde nicht weinen, sie würde kämpfen. Sie stapfte zum Sessel und spähte aus dem Fenster auf die Straße, die durch die aufgehende Sonne in goldenes Licht getaucht wurde. Die Regenwolken waren weitergezogen.
»Wieso hassen wir eigentlich die Regentage, wenn es doch die einzigen Tage sind, an denen wir unbeschwert mit erhobenem Kopf weinen können?«, fragte sie und griff Marlas Hand.
Marla verlor selten die Fassung, aber nun rang sie eine Weile mit ihr. »Was meinst du damit?«, fragte sie schließlich.
»Sieh raus. Die Sonne scheint. Wir können es uns nicht leisten, zu weinen.«
»Sebastian will, dass wir uns verstecken«, antwortete Marla.
»Aber Sebastian ist nicht hier, oder?«
Traurig schüttelte sie die braunen Locken.
»Siehst du. Also kann es uns egal sein, was er will. Ich für meinen Teil werde tun, was ich tun muss.«
»Und das wäre?«
»Ich werde die Fingerless töten.«
Marla blies die Luft aus und nagte an der Unterlippe. Sie hatte eindeutig Zweifel.
»Bist du dabei?«
Marla nickte.
Anna fiel ein Berg von der Brust. »Dann zieh dich an«, sagte sie und packte ihre Kleidung. Die Jeans, die Sebastian ihr am Abend besorgt hatte, trug ein paar Flecke, doch sie schlüpfte trotzdem hinein. »Wir werden jetzt die Pergamente besorgen, einen Engel beschwören und diesen Halbwesen ein Ende bereiten, klar?« Euphorie und Überzeugung trugen ihre Worte.
Wie immer, wenn Sebastian nicht in ihrer Nähe war, überkam sie Mut. Ohne ihn fühlte sie sich stärker, weniger angreifbar. Sie würde nicht für ihre Freunde kämpfen, aber sie würde für sie gewinnen. So viel stand fest. Ihr Herz war kein Spielplatz und das würde sie Sebastian schon noch erklären.
Marla richtete sich auf und setzte ein Lächeln auf. »Irgendwie habe ich gehofft, dass du etwas Ähnliches sagst. Auch wenn es mir Angst macht, nur dazuhocken und darauf zu warten, dass man uns findet …«
Anna lächelte. »Siehst du. Zusammen schaffen wir das.«
Manchmal musste sie das tun, was glücklich machte, und nicht das, was richtig war. Wobei richtig und falsch nicht mehr existierten. Sie würde nicht tatenlos zusehen, wie die Welt vor die Hunde ging. Nicht, ohne zu versuchen, dem Einhalt zu gebieten. Wenn es sein musste, würde sie mit bloßen Händen jedem Halbwesen das Herz aus der Brust reißen. Sie würde, wenn nötig, einhundert Engel beschwören, oder sogar den lieben Gott persönlich.
Annas Kampfgeist war erwacht und er hatte nicht vor, sich jemals wieder schlafen zu legen.
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Danksagung
Danken möchte ich den Menschen, die mir geholfen haben, diese Geschichte stärker zu machen. Besonders meiner Lektorin, die mir mit Rat und Tat zur Seite stand und steht, kluge Antworten auf die absurdesten Fragen parat hat und die mir ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Auch der Rest des bookshouse-Teams verdient meinen Dank. Ihr leistet großartige Arbeit und ich fühle mich bei euch Zuhause.
Außerdem möchte ich meiner Mutter danken, die mir wirklich den Rücken freihielt, und meine Hunderasselbande an die frische Luft schleifte, wenn ich mal wieder fast zwanghaft Zeilen zu Papier bringen musste
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