Gefährliche Begierde
ländliche Mode, die mit gesunden, von der Sonne geröteten Gesichtern Blätter zusammen harkten oder kleine Lämmer liebkosten. Ihre hellen graublauen Augen passten nicht recht zum Rest ihrer Erscheinung, und ihre geschwollenen Lider verrieten ihm, dass sie geweint hatte. Sogar jetzt wischte sie sich eine Träne von der Wange. Suchend blickte sie sich um. Schließlich griff sie frustriert nach einem Zipfel ihres T-Shirts, um sich das Gesicht damit abzuwischen. Eine hilflose Geste, wie etwas, das ein Kind tun würde. So wirkte sie noch verwundbarer. Er fragte sich, warum sie wohl so alleine in diesem Raum saß und trotzdem auf alle Welt wie eine verlorene Seele wirkte. War sie Zeugin oder Opfer?
Dann blickte sie auf einmal genau in seine Richtung, aber er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte. Sie sah nur ihr eigenes Spiegelbild, das ihr entgegen starrte. Sie schien ihr Bild mit ziemlicher Gleichgültigkeit hinzunehmen, so als ob sie dächte: Da bin ich, ich sehe schrecklich aus, und es könnte mir nicht weniger egal sein.
Plötzlich drehte sich ein Schlüssel im Schloss, und die Frau richtete sich auf. Ihr Körper sah angespannt aus. Sie wischte sich noch einmal über das Gesicht und reckte kampflustig das Kinn in die Höhe. Mochten ihre Augen auch verquollen, ihr T-Shirt von Tränen feucht sein, so versuchte sie trotzdem, die Aura der Verwundbarkeit abzuschütteln. Sie erinnerte Chase an einen Soldaten, der sich zwar für den Kampf rüstete, aber in Wirklichkeit eine wahnsinnige Angst davor hatte.
Die Tür ging auf. Ein Mann in einem grauen Anzug trat ein. Er trug zwar keine Krawatte, hatte aber dennoch etwas Offizielles an sich. Er nahm den Stuhl. Chase war erstaunt über das laute Geräusch, dass die über den Boden schabenden Beine verursachten, bis er feststellte, dass es ein Mikro in diesem Raum geben musste und der Krach aus einem schmalen Lautsprecher am Fenster kam.
»Ms. Wood?« sagte der Mann fragend, »entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Ich bin Leutnant Merrifield von der Staatspolizei.« Er streckte ihr seine Hand hin und lächelte ein vielsagendes Lächeln, das wohl soviel bedeuten sollte wie: Ich bin dein Freund. Dein bester Freund. Ich bin hier, um alles in Ordnung zu bringen.
Die Frau zögerte, bevor sie die ausgestreckte Hand schüttelte.
Leutnant Merrifield machte es sich auf dem Stuhl bequem und schenkte ihr einen langen und wohlwollenden Blick. »Sie müssen völlig erledigt sein«, meinte er in seinem Ich-bin-dein-bester-Freund-Tonfall. »Fühlen Sie sich wohl? Sind sie bereit anzufangen?«
Sie nickte.
»Hat man Ihnen Ihre Rechte vorgelesen?« Wieder ein Nicken.
»So wie ich verstanden habe, verzichten Sie auf das Recht, Ihren Anwalt zu rufen.«
»Ich habe keinen Anwalt«, erwiderte sie.
Ihre Stimme klang anders, als Chase es erwartet hatte. Sie war sanft und heiser. Eine Schlafzimmerstimme, die traurig erbebte.
»Wir können Ihnen einen besorgen«, schlug Merrifield vor. »Es könnte eine Weile dauern, das heißt, sie müssten Geduld haben.«
»Bitte, ich möchte Ihnen erzählen, was passiert ist …« Über Merrifields Lippen huschte ein schnelles triumphierendes Lächeln.
»In Ordnung«, meinte er, »dann lassen Sie uns beginnen.« Er stellte einen Kassettenrekorder auf dem Tisch auf und drückte eine Taste. »Sagen Sie mir Ihren Namen, Adresse und Beruf.«
Die Frau holte tief Luft, so, als nähme sie ihren ganzen Mut zusammen. »Ich heiße Miranda Wood. Ich lebe in der Willow Street Nummer 18 und ich arbeite als Redakteurin beim Island Herald.«
»Das ist Mr. Tremains Zeitung?«
»Ja.«
»Lassen Sie uns gleich auf die letzte Nacht zurückkommen. Auf die Ereignisse, die zum Tod von Mr. Richard Tremain führten.«
Chase hatte plötzlich das Gefühl, sein ganzer Körper würde taub. Der Tod von Mr. Richard Tremain. Er drückte sich gegen das kalte Glas, seinen Blick auf Miranda Woods Gesicht geheftet, wo er nichts als sanfte Unschuld erblickte. Eine perfekte Maske?
Das ist die Geliebte meines Bruders
, fuhr es Chase durch den Kopf.
Die Mörderin meines Bruders.
Mit einer schrecklichen Faszination belauschte er das Geständnis.
»Lassen Sie uns ein paar Monate zurückgehen, Ms. Wood, zu dem Zeitpunkt, als sie Mr. Tremain zum ersten Mal begegneten. Schildern Sie mir ihr Verhältnis zu ihm.«
Miranda starrte auf ihre ineinander verschlungenen Hände auf dem Tisch, ein typisches, hässliches Behördenmöbelstück. Sie bemerkte, dass jemand die Initialen
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