Gefährliche Begierde
und richtete sich auf. Pure Wut ließ sie sich auf ihre Knie stützen. Dann, als es schwarz vor ihren Augen wurde, sank sie zurück ins Gras. Dort saß sie und hielt sich ihren schwindelnden Kopf. »Oh Gott«, stöhnte sie. »Warum können Sie nicht einfach … einfach weggehen und mich alleine lassen.«
»Nie im Leben!« lautete die grimmige und resolute Antwort.
Zu ihrer Verblüffung wurde sie plötzlich wie von Zauberhand in die Höhe gehoben. Trotz ihres Ärgers musste sie zugeben, dass es ihr gut tat, getragen zu werden, gut, festgehalten zu werden, selbst wenn der Mann, der sie hielt, Chase Tremain war. Sie schwebte wie ein Federgewicht durch die Dunkelheit. Wohin? fragte sie sich mit plötzlicher Besorgnis.
»Es ist genug«, protestierte sie. »Lassen Sie mich runter.«
»Nur noch ein paar Schritte.«
»Ich hoffe, Sie heben sich einen Bruch.«
»Wenn Sie so weiter zappeln, dann passiert das auch noch.«
Er trug sie die Verandatreppen hinauf und zur Haustür hinein.
Mit einem untrüglichen Instinkt brachte er sie direkt ins Schlafzimmer und schaffte es sogar, den Lichtschalter zu betätigen. Der Raum – das Bett – kamen in Sicht. Das Bett, wo sie Richard gefunden hatten. Obwohl das Blut weg und die Matratze neu und ohne Flecken war, würde dieses Zimmer sie immer an den Tod erinnern. Sie hatte seit jener Nacht nicht mehr darin geschlafen und würde es auch nie wieder tun.
Sie erschauderte in seinen Armen. »Bitte«, flüsterte sie und verbarg das Gesicht an seiner Brust. »Nicht hier. Nicht dieses Zimmer.«
Er blieb einen Moment lang verständnislos stehen. Dann begriff er, trug sie ins Wohnzimmer und legte sie auf das Sofa. Sie fühlte, wie die Polster einsanken, als er sich neben sie setzte. »Tut Ihnen irgend etwas weh?« fragte er.
»Ihr Rücken? Ihr Nacken?«
»Ja, meine Schulter, ein wenig. Ich glaube, ich bin drauf gefallen.«
Sie schreckte vor der Berührung seiner Hände zurück. Er bewegte ihren Arm vorsichtig, überprüfte, inwieweit er sich bewegen ließ. Sie bemerkte die gelegentlichen Stiche kaum, die seine Berührungen in ihr verursachten. Ihre Aufmerksamkeit galt seinem Gesicht, das auf sie herab blickte. Noch einmal bemerkte sie, wie wenig er Richard ähnelte. Nicht nur äußerlich. Es war eher die Ruhe in seinen Gesten, die Art, wie er seine Gefühle zurückzunehmen schien. Das war kein Mann, der sich oder seine Geheimnisse leicht irgendjemandem preisgab.
»Es scheint nichts gebrochen«, sagte er, während er sich aufrichtete. »Dennoch sollte ich besser einen Arzt rufen. Zu wem gehen Sie?«
»Dr. Steiner.«
»Steiner? Praktiziert dieser alte Bock immer noch?«
»Hören Sie, ich bin in Ordnung. Ich brauche keinen Arzt.«
»Lassen Sie uns auf Nummer sicher gehen.« Er griff nach dem Telefon.
»Aber Dr. Steiner macht keine Hausbesuche«, protestierte sie. »Er hat noch nie welche gemacht.«
»Dann wird er jetzt damit anfangen«, erwiderte Chase streng und wählte eine Nummer. »Ich schätze, wir werden heute in die Geschichte eingehen.«
Lorne Tibbetts schenkte sich einen Kaffee ein und schaute Chase an. »Ich möchte gerne wissen, was um Himmels Willen Sie hier machen?«
Chase lehnte an Mirandas Küchentisch und rieb sich müde über das Gesicht. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Lorne«, murmelte er. »Ich habe keine Ahnung.«
»Oh.«
»Ich vermute, ich dachte, ich könnte … ein paar Dinge verstehen, die einen Sinn ergeben. Darüber, was passiert ist.«
»Das ist unsere Aufgabe, Chase. Nicht Ihre.«
»Ja, ich weiß. Aber …«
»Sie glauben, dass ich der Aufgabe nicht genug Bedeutung beimesse?«
»Ich hatte einfach das Gefühl, dass es noch mehr gibt, als man auf den ersten Blick erkennen kann. Nun weiß ich, dass es so ist.«
»Sie meinen diesen Wagen?« Lorne zuckte mit den Achseln. »Das beweist gar nichts.«
»Aber er hielt auf sie zu. Ich habe es gesehen. Sobald sie die Straße betrat, gab er Gas.«
»Er?«
»Er, sie. Es war dunkel. Ich habe den Fahrer nicht gesehen. Nur das Nummernschild. Und die Rücklichter. Großes Auto. Amerikanisches Fabrikat. Da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Farbe?«
»Dunkel. Schwarz. Vielleicht blau.«
Lorne nickte. »Sie sind kein schlechter Zeuge, Chase.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich habe Ellis das Nummernschild überprüfen lassen.
Es gehört zu einem braunen achtundachtziger Lincoln, der auf einen Inselbewohner eingetragen ist.«
»Auf wen?«
»Mr. Eddie Lanzo. Ms. Woods Nachbar.«
Chase starrte ihn an.
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