Gefährliche Begierde
weh zu sehen, wie glücklich sie aussah. Ihre Abschlusszeugnisse von der Universität waren hervorragend. Wenn überhaupt, dann war sie für den Job als Redakteurin überqualifiziert. Unter die Frage »Warum interessieren Sie sich für diesen Job?« hatte sie geschrieben: »Ich bin in der Nähe der Penobscot Bucht aufgewachsen und mehr als alles andere will ich in der Nähe des Ortes, den ich mein zu Hause nenne, leben und arbeiten.« Er blätterte durch die Seiten und überflog die halbjährliche Beurteilung, die Jill Vickery unterzeichnet hatte. Sie war ausgezeichnet. Er blätterte auf die letzte Seite – und fand die zwei Wochen alte Kündigung.
Gerichtet an Richard Tremain, Verleger, Island Herald.
Sehr geehrter Mr. Tremain,
ich möchte Sie hiermit von meiner Kündigung als Redakteurin in Kenntnis setzen. Meine Gründe dafür sind rein privater Natur. Über ein Empfehlungsschreiben von Ihnen würde ich mich sehr freuen, da ich plane, mir anderweitig eine Arbeit zu suchen.
Mit freundlichen Grüßen, Miranda Wood.
Das war alles. Keine Erklärungen, kein Bedauern, nicht einmal ein Hinweis auf eine Anklage.
Also hat sie mir die Wahrheit gesagt
, dachte er, sie hat ihren Job wirklich aufgegeben.
»Mr. Tremain?« Jill Vickery war wieder zurück und stand abwartend auf der Schwelle. »Suchen Sie etwas Bestimmtes? Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.«
»Vielleicht können Sie das.«
Sie trat ein und ließ sich elegant auf dem gegenüberliegenden Stuhl nieder. Ihr Blick fiel plötzlich auf die Akte, die auf dem Schreibtisch lag. »Ich sehe, dass Sie Mirandas Personalakte gefunden haben.«
»Ja, ich versuche zu verstehen, was passiert ist. Warum sie es getan hat.«
»Ich denke, Sie sollten wissen, dass sie gerade vor ein paar Minuten hier war.«
»Hier im Verlag?«
»Sie kam, um ihre Sachen abzuholen. Ich bin froh, dass es nicht zu einer … hm … unerwarteten Begegnung kam.«
Er nickte. »Das bin ich auch.«
»Lassen Sie mich etwas sagen. Die Sache mit Ihrem Bruder tut mir sehr Leid. Er war ein wunderbarer Mann und ein außergewöhnlicher Autor. Er glaubte wirklich an die Macht des gedruckten Wortes. Wir werden ihn sehr vermissen.«
Es war eine einstudierte Rede, aber Jill Vickery brachte sie mit einer solchen Ernsthaftigkeit vor, dass Chase fast davon überzeugt war, sie meinte die Worte ernst. Diese Frau verstand gewiss etwas von PR.
»Ich habe gehört, Richard hatte eine Geschichte in der Pipeline«, sagte er. »Irgendwas über eine Firma namens Stone Coast Trust. Sagt Ihnen das etwas?«
Jill seufzte. »Warum kommt ausgerechnet dieser Artikel laufend zur Sprache?«
»Ist noch jemand daran interessiert?«
»Miranda Wood. Sie fragte gerade danach. Ich sagte ihr, dass diese Geschichte, soweit ich weiß, niemals geschrieben wurde. Zumindest sah ich sie nie.«
»Aber ihr Erscheinen war geplant?«
»Bis Richard es rückgängig machte.«
»Warum?«
Sie lehnte sich zurück und schob langsam ihr Haar nach hinten.
»Ich weiß es nicht. Ich vermute, er hatte nicht genügend Beweise, um sie zu veröffentlichen.«
»Was genau steckt hinter dieser Geschichte über Stone Coast Trust?«
»Ehrlich gesagt, Kleinstadtkram. Nicht sehr interessant für Außenstehende.«
»Versuchen Sie es mir zu erklären.«
»Es hatte mit Landerschließung zu tun. Stone Coast hat Eigentum an der Nordseite gekauft. In der Nähe von Rose Hill, um genau zu sein. Sie wissen auch, wie schön es da oben ist. Unberührte Küstenstreifen, Bäume. Tony Graffam – er ist der Präsident von Stone Coast – behauptete, die Gegend schützen zu wollen. Dann hörten wir Gerüchte über ein High Class Landerschließungsprojekt. Und vor einem Monat wurde das Naturschutzgebiet plötzlich in Bauland umgewandelt. Jetzt ist es offen für die Erschließung.«
»Und das ist alles, worum es in diesem Artikel ging?«
»Die Insel ist klein. Darf ich Sie fragen, warum Sie sich dafür interessieren?«
»Es hat mit etwas zu tun, dass mir Miranda Wood erzählte, über andere Menschen, die ein Motiv hätten, meinen Bruder umzubringen.«
»In diesem Fall übertreibt sie.« Jill erhob sich. »Aber man kann ihr schwer einen Vorwurf daraus machen, dass sie es versucht hat. Sie hat wirklich nicht viel, woran sie sich festhalten könnte.«
»Denken Sie, dass sie verurteilt wird?«
»Ich würde nicht darauf wetten. Doch nach allem, was mein Nachrichtenteam mir berichtet, hört es sich ganz danach an.«
»Meinen Sie diese Reporterin, Annie
Weitere Kostenlose Bücher