Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Sicherungsverwahrter, der länger in Haft war, als die meisten der Studierenden alt sind, kommen miteinander ins Gespräch. Viele Fragen der Studierenden zu Haftbedingungen und Regelungen sind noch einfach zu beantworten. Ludwig Roser stellt sich auch den Fragen zu seinen Delikten. Es knistert förmlich, wenn er sich äußert und meint, er könne nicht 25 Jahre tagtäglich bereuen. Zum einen zermürbe es, zum anderen wirke es doch irgendwann abgedroschen und unglaubwürdig. Und er weist darauf hin, dass Täter für Delikte mit durchaus schwerwiegenderen Folgen zu geringeren Strafen verurteilt werden. Die Studierenden sind fasziniert und verwirrt zugleich; die Zumutung war doch stark. Trotzdem besucht Ludwig Roser das Seminar noch weitere Male. Ein intensiverer Kontakt wird hieraus nicht; trotzdem hat diese Begegnung Folgen.
Von den begleitenden Polizeibeamten ist mir nichts Außergewöhnliches aus den Seminarteilnahmen berichtet worden. Dennoch geht der zuständige KUR S-Koordinator der Polizei der Begegnung zu einem späteren Zeitpunkt bei der Vorbereitung einer Konferenz zu Ludwig Roser nochmals nach und wertet die ihm berichtete Verstörung einiger Studierender prognostisch als kritisch. Der Satz „Alles was Sie jetzt sagen, wird gegen Sie verwendet“ scheint nicht nur in amerikanischen Kriminalfilmen zu gelten.
Ein anderer Klient wird mit mir zu einer Vortragsveranstaltung an die Evangelische Hochschule eingeladen. Eingeladen sind auch die Polizei und die Haftentlassenenhilfe. Ich besuche die Veranstaltung alleine, die Polizei weigert sich, mit einem entlassenen Sicherungsverwahrten ins Gespräch zu kommen und macht ihre Teilnahme an der Veranstaltung von der Nichtteilnahme meines Klienten abhängig.
Weihnachtstage sind für Inhaftierte schwierige Tage, ganz unabhängig von ihrer Konfession oder Glaubenshaltung. Es ist eine besinnliche Zeit des Zusammenkommens in den Familien, eine Zeit der Begegnung und der Gemeinschaft. Auch die aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Klienten spüren dieses Bedürfnis. Gerade nach der langen Haftzeit ist der Wunsch groß, jetzt einmal wieder „richtig“ Weihnachten zu feiern. Drei der Männer nehmen an Gemeinschaftsfeiern der Stadtmission und einer Kirchengemeinde statt. Dies verlief ohne besondere Aufmerksamkeiten oder Auffälligkeiten; auch die begleitenden Polizeibeamten konnten sich im größeren Rahmen unauffällig integrieren.
Gerhard Kraus erhält von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Justizvollzugsanstalt die Einladung, den Abend des 24. Dezember in ihrer Familie zu verbringen. Einen „klassischen“ Familienweihnachtsabend mit Essen, Singen und Geschenken. Zur Vorbereitung treffen wir, Gerhard Kraus, seine Gastgeberin und zwei Polizeibeamte, uns einige Tage vor Weihnachten. Für Gerhard Kraus ist es der erste Weihnachtsabend seit über fünfzig Jahren außerhalb einer Einrichtung und wahrscheinlich auch der erste Familienweihnachtsabend dieser Art. Und ich erfahre später, dass es ein harmonischer Abend war; zwar hatten die Polizeibeamten auf einen um eine halbe Stunde vorgezogenen Abschied gedrängt, weil ihr Schichtwechsel anstand, aber das war verschmerzbar. Gerhard Kraus hatte der Familie von sich aus ein kleines Geschenk vorbereitet und mitgebracht.
Dass Gerhard Kraus, der in der JVA noch als orientierungslos und lebensuntüchtig beschrieben war, durchaus lebenstüchtig und sozial kompetent agieren kann, zeigte er in einer ganz besonderen Weise im „kollegialen Umgang“, den er mit seinen Bewachern pflegte. Er war mit mir zur Vorstellung in einer Einrichtung, die ihn bei sich aufnehmen und betreuen sollte. Dieses Gespräch fand in meiner Begleitung, ohne polizeiliche Aufsicht statt, eine Bedingung der Einrichtung. Ein paar Tage später taucht Gerhard Kraus ohne Ankündigung allein in der Einrichtung auf. Er hatte erfahren, dass dort noch Dinge als Gewinne für eine Tombola gesucht werden und wollte eigene Bastelarbeiten beisteuern. Der erschrockenen Mitarbeiterin erklärt er auf die Frage, wie das ohne Polizei heute ginge, mit Grinsen im Gesicht, dass er einen der Beamten gebeten habe, heute einmal die Funktion seines Bewährungshelfers anzunehmen und sich als Kollege von mir vorzustellen. Der Beamte riskierte dieses Spiel, seine Kollegen warteten eine Straße weiter und Gerhard Kraus konnte sich für einen Moment etwas freier bewegen. Keiner der Beteiligten missbrauchte das gegenseitige Vertrauen.
Diese – ob nun vorhandene oder inzwischen
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