Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
dauerte für diese teilweise über zehn Jahre. Der Emmendinger Strafrichter und Experte für Fragen der Sicherungsverwahrung, Thomas Ullenbruch, hat im Zusammenhang mit der Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Straßburger Urteil durch die Bundesrepublik sogar eine mögliche Strafbarkeit von Amtsträgern ins Gespräch gebracht, wenn er in einem Kommentar im
Spiegel
schreibt: „Die Justizverwaltung begebe sich ‚in ein gefährliches Fahrwasser‘, wenn sie in diesen Fällen ‚pauschal Rechtsmittel einlegt, um Zeit zu gewinnen‘, da sich Amtsträger durch ein solches Vorgehen selbst strafbar machen könnten.“ 44
Damit spielt Ullenbruch auf den § 345 Strafgesetzbuch an, in dem es heißt: „Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung bei der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist, eine solche Strafe, Maßregel oder Verwahrung vollstreckt, obwohl sie nach dem Gesetz nicht vollstreckt werden darf, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Auch wenn man nicht gleich an eine strafrechtliche Verfolgung von Richtern oder Politikern denkt, erscheinen die Nicht-Reaktionenunangemessen. Von Verurteilten wird in aller Regel zumindest Einsicht erwartet. Schadenswiedergutmachung oder Entschuldigungen werden richterlich angeordnet. Sicherungsverwahrte können viel über Erwartungen erzählen, welche an sie wegen ihres Fehlverhaltens gestellt werden, vor allem Einsicht, Reue, Besserung, Therapie.
In seinem Kommentar „Völkerrechtliche Geisterfahrer“ nennt Ullenbruch das Verhalten von Justiz und Politik eine besondere Art von Schwarzer-Peter-Spiel, das er so beschreibt: „Es gibt drei Spieler: Den Bundesgesetzgeber, das Bundesverfassungsgericht und diejenigen OLG, die die Umsetzung der Straßburger Vorgaben ablehnen. Alle drei wissen, dass eine Entscheidung des EGMR a) an sich zeitnah umgesetzt werden muss, dies aber b) unpopulär ist und c) die Gefahr medialer Pranger-Prominenz birgt. Dem entsprechen die Spielregeln: Verloren hat, wer als erster ‚aus der Furche auftaucht‘ und ob der allfälligen Grundsatzentscheidung in entsprechend großbuchstabiger Presseberichterstattung geschlachtet wird.“ 45
Seit August 2010 beobachte ich als Bewährungshelfer meiner Klienten dieses Spiel und sehe, dass Thomas Ullenbruch eine Reihe Mitspieler in seiner Aufzählung nicht erwähnt.
Die Justizvollzugsanstalten
, die offensichtlich nach der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung seit 1998 in vielen Fällen alle Bemühungen um integrierende Maßnahmen einstellten, weil sie nicht mehr mit einer Entlassung rechneten. So wird zum Beispiel der Vorsitzende des Beirats der Freiburger Justizvollzugsanstalt, Wolfgang Müller, in der Zeitung
Der Sonntag
mit den Worten zitiert: „Der Freiburger Trakt der Sicherungsverwahrten ist ein apathischer Ort der Hoffnungslosigkeit“. 46
Die Schilderungen und eigene Erfahrungen aus sogenannten Entlasskonferenzen zeigen mir eher ein Bild der Stabübergabe für „Monster“, als dass eine Entlassvorbereitung gemeinsam geplant und vorgenommen wird. Das geht so weit, dass dieerste Lockerung bis in die konkret letzte Woche vor der Entlassung aufgeschoben wird.
Die Strafvollstreckungskammern
, die die Anträge der Betroffenen auf Entlassung trotz des Urteils des Gerichtshofs in Straßburg mit knappen Begründungen ablehnen. Als die Entlassungen dann anstehen, werden schnell Beschlüsse zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht erlassen, teilweise ohne die vorgesehene Anhörung der Betroffenen. Ein Richter der Strafvollstreckungskammer erklärte mir gegenüber, dass es schon sein könne, dass auf die Schnelle Beschlüsse gefasst wurden, die vielleicht nicht in allen Punkten haltbar seien. Aber zum einen habe das die Polizei so gewollt, und zum anderen gebe es ja die Möglichkeit des Klagewegs.
Freiburgs Oberbürgermeister
, der als grüner Oberbürgermeister Verständnis für den korrekten Umgang mit Menschenrechten haben sollte. Aus seiner früheren Funktion als Strafvollzugsbeauftragter der Landtagsfraktion der Grünen hätte er auch Einblick in das Thema haben können. Als der damalige Freiburger Dompfarrer Claudius Stoffel in einer Predigt im Freiburger Münster die Situation der entlassenen Sicherungsverwahrten aufgreift und sich für deren Aufnahme in das
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