Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Psychotherapie kaumzwangsweise vollstreckt werden kann, wird mit dem Instrument der Vorstellungsweisung versucht, den Klienten zumindest in einen Kontakt mit einem Therapeuten zu bringen. Man erhofft sich, dass vorhandene Hemmungen, Ängste, Unkenntnisse über den Prozess einer Psychotherapie abgebaut werden und der Betroffene doch noch bereit ist, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen.
Die Forensische Ambulanz Baden beschreibt ihre Tätigkeit unter anderem so: „Die psychotherapeutische Behandlung von Straftätern dient dem Opferschutz, da nach wissenschaftlichen Erkenntnissen durch eine indizierte Therapie das Risiko eines Rückfalls deutlich reduziert werden kann und – wie Untersuchungen aus der Schweiz zeigen – von 40 % auf bis zu 3 % gesenkt werden können. Vor allem die Ergänzung der im Regelvollzug bereits bestehenden Angebote zur psychotherapeutischen Behandlung von Straftätern ist Leitmotiv der im Jahre 2005 ins Leben gerufenen Behandlungsinitiative Opferschutz – einem zunächst nur interdisziplinären Zusammenschluss (zur nunmehr erfolgten Vereinsgründung vgl. unter ‚BIOS-BW e. V.‘) von Richtern, Staatsanwälten, Psychiatern und anderen Berufsgruppen, welcher als Opferschutzeinrichtung das bereits bestehende Angebot anderer gemeinnütziger Organisationen in Baden-Württemberg durch die Förderung von psychotherapeutischen Maßnahmen innerhalb und außerhalb des Strafvollzuges ergänzt.“ 41
Beide nehmen die angeordneten Gespräche bei der Forensischen Ambulanz korrekt wahr. Ludwig Roser stellt für die Gespräche auch seine Unterlagen wie Urteil und bisherige Gutachten zur Verfügung.
Zusätzlich zu dieser Maßnahme ist die Frage der psychotherapeutischen Behandlung Thema unserer Gespräche. Ludwig Roser hat vor allem Sorge um seine Privatsphäre, die er in Haft regelmäßig angegriffen sah. Dass er einen persönlichen Gewinn von einer derartigen Behandlung haben kann, sieht er ein.
Gerhard Kraus hat 35 Jahre lang die Erfahrung machen müssen, dass ein Schuldeingeständnis als Voraussetzung für eine psychotherapeutische Behandlung von ihm verlangt wird. Wir besprechen, dass es auch andere Themen für eine therapeutische Behandlung geben kann. Er ist überrascht, und mit seinem Einverständnis suche ich nach einem geeigneten Therapeuten, unterstützt durch seinen letzten Gutachter. Etwa zehn Wochen nach seiner Entlassung beginnt Gerhard Kraus eine Therapie und legt mir regelmäßig die Nachweise über die von ihm wahrgenommenen Therapiestunden vor. Ähnlich bei Ludwig Roser; nach einem gemeinsamen Gespräch bei seinem Hausarzt erfolgt eine Überweisung an einen erfahrenen Psychotherapeuten. Dessen Therapieplan wird ebenfalls bewilligt und Ludwig Roser nimmt seither regelmäßig diese Behandlung in Anspruch.
Beide Männer, denen in Haft Therapieverweigerung, Uneinsichtigkeit und unkooperatives Verhalten vorgehalten wird, sind nicht nur zur Kooperation mit der Polizei, dem Bewährungshelfer und der Forensischen Ambulanz bereit, sondern haben innerhalb kurzer Zeit nach der Entlassung eine psychotherapeutische Behandlung begonnen.
Bei Gerhard Kraus dürfte dies mit ein Grund für die Aufhebung der Dauerobservation sein, die neun Monate nach der Entlassung erfolgt. Jetzt kann sich Gerhard Kraus ohne begleitende Polizeibeamte bewegen, und es macht ihm auch keine Mühe, sich zurechtzufinden. Den Stadtplan von Freiburg hat er sich erlaufen, Straßen und Wege sind ihm geläufig.
Mit wem sollen wir reden?
Wenn Sie rund um die Uhr von fünf Polizeibeamten bewacht werden, ist die Möglichkeit zu alltäglichen Kontakten mit anderen Menschen sehr eingeschränkt. Gerhard Kraus hat in seiner „Drei-Mann-WG“ Kontakt mit Männern in derselben Situation. Die Bewährungshilfe bietet ein Gruppenangebot für vier der in Freiburg lebenden entlassenen Sicherungsverwahrten.
Ludwig Roser, eloquent dank seiner Schulbildung und einem regen Interesse am Tagesgeschehen, würde gerne ganz normale Kontakte mit anderen Menschen aufnehmen. Durch die Observation fühlt er sich beschämt. Er ist aber bereit und interessiert, über seine Situation zu sprechen. So bietet er sich für ein Seminar zum Thema „Straffälligenhilfe“ an der Katholischen Hochschule Freiburg als Gast und Studienobjekt an. Der zuständige Dozent lädt ihn in meiner Begleitung und mit den begleitenden Polizeibeamten ins Seminar ein. Eine aufregende Situation. Ungefähr zwanzig junge Studierende und ein entlassener
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