Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
beeinflussbar. Was den einen nach hier bewegt, bringt den anderen nach dort. Auch die Evidenzforschung hat keine eindeutigen Erkenntnisse gebracht. Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich Lösel hat im Herbst 2010 auf dem Deutschen Jugendgerichtstag in Münster in beeindruckender Weise dargestellt, dass alle auf dem Markt angebotenen Programme und Methoden zur Verhaltensänderung bei straffälligen Jugendlichen ein klein wenig wirken. Die Unterschiede in der Wirkung sind marginal. Die abschließende Erkenntnis ist, dass harte Strafen und Maßnahmen eher schädlich wirken, während eine pädagogische Beziehung und Bindung nützt.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Sie bedeuten, dass wir uns auf die Menschen einlassen und sie bei Veränderungsprozessenbegleiten müssen. Mancher mag dies noch immer als romantische Vorstellung abtun, die wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht standhalten könne.
In den letzten Jahren entwickelt sich die Hirnforschung zu einer Leitwissenschaft für andere Wissenschaftsbereiche. Einer ihrer bekanntesten Vertreter ist der Göttinger Neurobiologe Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther. In seinem Buch „Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher“ geht er der Frage der menschlichen Veränderung nach, die er so beantwortet: „Was müsste passieren, damit Menschen ihre Gedanken auf ganz neue Wege schicken und neue Vorstellungen über das, worauf es im Leben ankommt, entwickeln können? Auch diese Frage ist inzwischen mit Hilfe der neuen Erkenntnisse der Hirnforscher recht leicht beantwortbar, wenngleich diese Erkenntnisse im Grund nur das bestätigen, was wir alle längst wissen: Es muss etwas passieren, d. h. eine Person muss etwas erleben oder erfahren, was ‚unter die Haut‘ geht. Es darf nicht so stark sein, dass sie gleich in Angst und Panik gerät. Es sollte das Gefühl vielleicht noch nicht einmal so eindringlich sein, dass es sie betroffen macht, sie also unter Umständen gar beschämt. Es müsste etwas sein, was sie im Innersten berührt oder anrührt. Und anrühren kann einen Menschen nur etwas, was eine alte Sehnsucht in ihm wiedererweckt, was etwas in ihm wachruft oder an etwas in ihm anknüpft, das ihm abhandengekommen oder was in seinem Hirn durch später gemachte Erfahrungen überlagert und damit verschüttet worden ist. (…) Wir müssten also einander mehr Mut machen, uns gegenseitig unterstützen und die Bemühungen anderer häufiger mit Anerkennung würdigen …“ 60
In der Beschreibung von Hedwig Schilling (s. Anhang), der langjährigen Begleiterin von Gerhard Kraus, scheint etwas durch, was dieser Erkenntnis entsprechen könnte: eine ermutigende und unterstützende Begegnung, die das Gegenüber respektiert, würdigt und an kritischen Stellen auch in Frage stellt.Das heißt, wir müssen uns den Menschen nähern, von denen wir Veränderung erwarten und die wir fördern wollen. Wir müssen uns auf sie einlassen und sie eben nicht ausgrenzen und aus der Gemeinschaft verstoßen.
Wie gehen wir mit unserer Angst um?
Angst scheint ein grundlegendes Gefühl unseres Lebens zu sein. In der Gesellschaft, in der wir leben, werden wir mit vielfältigen Ängsten konfrontiert: Angst vor Gewalt und Terror, vor Wirtschaftskrisen und Umweltkatastrophen, vor Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichem Abstieg. Der Philosoph Klaus-Jürgen Grün geht dem Phänomen nach und berät Manager im Umgang mit Angst. 61 Er unterscheidet Angst von Furcht. Diesen Unterschied, obwohl einleuchtend und nachvollziehbar, machen wir im Alltag oft nicht. Angst ist ein Gefühl, das aus dem Nichtwissen entsteht, etwas, auf das das Bewusstsein keinen Zugriff hat. Nach Grün ist das Entscheidende der Angst, dass sie präsent ist, bevor das Fürchterliche eintritt. Und meistens ist sie da, obwohl es nichts Furchtbares gibt. Wir neigen dann dazu, Realität zu vermeiden, um so die Angst zu vertreiben. Das gaukelt uns eine sichere Realität vor. So vermeidet jemand mit einer Spinnenphobie den Kontakt mit Spinnen, jemand der Höhenangst hat, geht nicht auf einen Turm, und wer Angst vor dem Aufenthalt unter Menschen oder auf öffentlichen Plätzen hat, bleibt zu Hause. Trotzdem sind Spinnen, Berge, Türme, andere Menschen und öffentliche Plätze da – und in aller Regel ungefährlich.
Furcht beschreibt Grün als das unmittelbare Warnsignal, das Leben retten kann. Sie ist ein Schutzinstinkt, der unser Leben schützt. Wir können sie verstehen, rational erfassen und beschreiben. Wir wissen, dass ein
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