Gefährliche Freiheit
schlug zu und Luke fuhr in doppeltem Schrecken zusammen, denn er kannte diesen Ton: Es war Oscar. Luke hatte die kalte Wut in seiner Stimme schon oft gehört.
»Die Plakate sollten deshalb hierhergebracht werden, weil das ein sicherer, abgeschlossener Raum ist«, brüllte Oscar. »Aber das nützt uns nichts, wenn ihr die Tür offen lasst!«
Oscar schien in ein Telefon oder Funkgerät zu sprechen, überlegte Luke, denn er hatte keine weiteren Schritte hereinkommen hören. Er zog sich noch weiter an die Wand zurück. Auf keinen Fall wollte er jetzt von Oscar entdeckt werden, nicht, wenn er so wütend war.
Die Person, mit der Oscar redete, schien zu widersprechen, denn Oscar schwieg einen Moment und platzte dann heraus: »Jedenfalls stand sie sperrangelweit offen, als ich herkam!« Oscar lief im Zimmer auf und ab, und als er sich Lukes Versteck näherte, konnte dieser einen Teil dessen, was auf der anderen Seite gesagt wurde, mithören: »… Schlüssel hat nicht funktioniert, also musste ich … habe sie wirklich zugemacht … wurde doch nichts angerührt, oder? Und …«
»Nein, nein«, erwiderte Oscar ein wenig ruhiger. »Soweit ich sehen kann, ist alles an Ort und Stelle, und in den Nachbarräumen war auch niemand … Wahrscheinlich hast du Recht; mehr würde man sich nicht dabei denken. Und es sieht aus, als ob die Alarmanlage noch funktioniert. Probieren wir, ob der Raum noch schalldicht ist, und wenn das funktioniert, machen wir weiter im Plan. Wer weiß, vielleicht kann ich mir das sogar zunutze machen. Um ein bisschen Druck zu machen, verstehst du?«
Oscar legte auf, lief aber weiter auf und ab. Luke lag wie erstarrt hinter den Plakaten, seine Gedanken drehten sich wie wild im Kreis.
Gleich findet er mich. Er wird wieder aus der Haut fahren. Er wird mich für die offene Tür verantwortlich machen. Gleich findet er mich …
Doch dann entfernte sich Oscar von Lukes Versteck und kam nicht zurück. Luke hörte, wie die Tür wieder aufging und sich Schritte näherten.
»Okay, versuchen wir’s jetzt. Das Schloss kann ich später reparieren«, sagte eine andere – Meltons? – Stimme. »Fortbringen müssen wir nichts.«
Luke hörte, wie Schalter an- und ausgeschaltet, die Tür auf- und zugemacht wurde, Melton und Oscar rein- und rausgingen und einer von ihnen: »Test, Test, Test« murmelte. Dann sagte Melton: »Sie können anfangen. Soll ich ihn runterholen?«
»Ja. Das klingt vernünftig. Ich will nur … Ich bin gleich fertig.« Klang Oscar etwa nervös? Luke war nicht sicher, was er davon halten sollte. Seiner Erfahrung nach wurde Oscar niemals nervös.
Langsam schliefen ihm vom regungslosen Daliegen die Beine ein. Er schaffte es, sie ein wenig zu bewegen, ohne dass die an der Wand lehnenden Plakate umfielen, dafür kribbelten seine Beine jetzt von oben bis unten. Doch er konnte nichts dagegen tun, als ein bisschen zu zucken, sich auf die Lippe zu beißen und sich weiter ruhig zu verhalten.
Wieder hörte er Schritte, jemand schien zu stolpern; und da war noch ein anderes Geräusch. Das Getrappel kam näher – zwei Paar Füße, stellte Luke fest. Dann waren sie nahe genug, dass Luke das andere Geräusch erkennen konnte: Ketten. Es waren Ketten, die rasselnd und klirrend über den Boden schleiften.
Luke hörte, wie die Tür zufiel. Die Ketten rasselten und die Stühle quietschten, als die Leute sich setzten.
»Ich verlange, dass man mich mit mehr Respekt behandelt!«, erklärte eine herrische Stimme. »Ich bin der oberste Führer der Bevölkerungspolizei, ich herrsche über das gesamte Land …«
»Nicht mehr.« Das war Oscars Stimme, mit einem kleinen Lachen. »Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten: Sie sind derjenige, der hier in Handschellen und Fußketten sitzt, und ich habe hier das Sagen.«
»Das ist eine Schande! Das wird man nicht dulden! Mir sind Tausende treu ergeben – sie werden kommen und mich retten und mich wieder in mein rechtmäßiges Amt einsetzen. Und dann werden Sie –«
»Ihre Leute können Sie nicht retten, weil sie gar nicht wissen, wo Sie sind«, sagte Oscar, der immer noch gelassen und amüsiert klang. »Außerdem – haben Sie da nicht etwas vergessen? Es gibt auch Tausende von Menschen, die Sie hassen. Tausende würden Sie liebend gern umbringen und Ihnen heimzahlen, was Sie und Ihre Bevölkerungspolizei ihnen angetan haben. Viele von ihnen sind im Augenblick draußen auf dem Rasen und feiern. Möchten Sie, dass ich Sie zu ihnen hinausbringe? Oder soll ich aus
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