Gefährliche Gefühle - zu schön zum Sterben
Wahl«, sagte sie und grinste mich breit an.
»Nein danke«, sagte ich.
»Willst du was anderes?«, fragte Kim verblüfft. »Parfüm, Kosmetik oder so? Oder â¦Â« Sie senkte ihre Stimme. »Oder willst du etwa Jennifer wählen? Ich meine, klar, seit Milena weg ist, macht sie einen auf Chefin. Lächerlich!«
»Kim«, sagte ich. »Ich glaube an freie und geheime Wahlen als Fundament einer Demokratie.«
»Hä?«
Ich zwinkerte ihr zu. »Bis morgen dann«, sagte ich lächelnd, winkte und lieà sie stehen, um mich wieder den wirklich wichtigen Problemen meines Lebens zu widmen. Zum Beispiel der Frage, was ich mit Hedi anstellen sollte, wenn ich die Tasche holen ging. Ich müsste sie entweder abschütteln oder ihr eine Ausrede servieren, die sie davon überzeugen konnte, dass alles total mit rechtmäÃigen Dingen zuging. Mit ihrem ganzen Ich-halte-mein-Schutzobjekt-von-illegalen-Aktivitäten-ab-Unsinn würde sie mir sonst einen Strich durch die Rechnung machen und mich bei meinem Vater anschwärzen â und damit auch Bastian. Das wollte ich verhindern. Aber wie sollte ich ihr das verständlich machen, dass ich genau an der Stelle eine Tasche suchen ging? Keine Chance.
Bis ich wieder zu Hause war, war mir keine andere Lösung eingefallen: Ich musste es alleine durchziehen. Hedi müsste ich vorher loswerden. Das Beste wäre natürlich, wenn sie gar nicht erst mitbekam, dass ich wegwollte. Wenn ich mich heimlich aus dem Haus stehlen könnte. Doch schon der erste Versuch, mich auf leisen Sohlen die Treppe runterzuschleichen, scheiterte kläglich. Ich war noch nicht auf der Hälfte, da stand sie schon wieder an in der Eingangshalle neben der Tür. Wie machte sie das nur?
»Wollte mir nur was zu trinken holen«, sagte ich. »Und die Schuhe wegräumen.« Ich hielt demonstrativ meine Boots hoch.
Hedi beobachtete mich. Die Secret-Service-Brille steckte in ihrer Jacketttasche. Ich stellte meine Schuhe in den Schuhschrank, ging in die Küche und trank ein Glas Multivitaminsaft. Als ich wieder rauskam, stand Hedi immer noch da. Wie ein verdammter Türwächter. Mist. Ich ging wieder in mein Zimmer und balancierte ein bisschen auf meiner Slackline hin und her. Der Haken, an dem das vordere Ende des Gurtbandes befestigt war, befand sich direkt unter meinem Fenster. Wenn ich den Karabiner auf der anderen Seite löste, dann könnte ich das Gurtband aus dem Fenster hängen und mich abseilen.
Ja, klar. Abseilen. Was für eine superschwachsinnige Idee, Sander! Oder doch nicht? Ich sprang von der Slackline und öffnete das Fenster. Es ging vielleicht vier Meter hinunter. Ich hakte den Karabiner aus und lieà probehalber das Band hinunter. Es reichte locker bis unten. Ich hatte eine ziemlich stabile Slackline, die sich nicht allzu sehr dehnte. Das war gut. Besonders für diese Zwecke. Alte Schabe, du hast sie nicht mehr alle, Sander, sagte ich zu mir selbst.
Aber das war ja nichts Neues.
17
I ch zog meine Mütze auf und warf meinen alten Anorak und meine Handschuhe aus dem Fenster. Die würden mich beim Klettern nur behindern. Um meine Anwesenheit zu simulieren, stellte ich meinen iPod in die Dockingstation und drehte die Musik auf. Die gesammelten Alben darauf würden auch für einen Ausflug nach Mombasa reichen. Einmal tief durchgeatmet, rauf aufs Fensterbrett. Mir wurde mulmig. Aber es musste sein. Ich schlang mir das Gurtband unterhalb der Schulterblätter um den Rücken und packte es mit beiden Händen. Mit den FüÃen stemmte ich mich gegen die Hauswand und lieà mich langsam abwärts. Es klappte so gut und war so einfach, dass ich beinahe gelacht hätte. Sollte ich öfter machen! Dann könnte ich auch zu Enzo, wann ich wollte! Haha! Unten angekommen, schnappte ich meinen Anorak und die Handschuhe und rannte an der Hauswand entlang zur Garage, schob meinen Elektroroller hinaus und brauste davon. Es dämmerte bereits. Ich musste mich beeilen, um es noch im Hellen zu schaffen. Zum Glück war es nicht weit. Nach zehn Minuten erreichte ich die Aue, wo wir als Kinder gespielt hatten. Von hier waren es nur ein paar Hundert Meter zu unserem alten Reihenhaus. Ich lieà meinen Roller stehen. Der Feldweg hinunter zum Aaler See war steil und voller Eismatsch. Auf der anderen Seite des Gewässers befand sich eine breite Halbinsel mit Kuhweiden und Feldern, die von den Bauern der Umgebung
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